Russischer Tupolev-Ingenieur besucht seinen Überschall-Vogel im Technik Museum Sinsheim
(zg) Am letzten Tag des Jahres 2018 empfing das Technik Museum Sinsheim einen Freund aus alten Tagen: Alexey A. Amelyushkin. Er war mitunter dafür verantwortlich, dass der russische Überschall-Passagierjet, Tu-144, in Sinsheim ankam. Für den ehemaligen Ingenieur war es das erste Mal nach dem Aufsehen erregenden Transport, dass er „seine Tupolev“ wieder betreten konnte. In entspannter Atmosphäre schwelgte man gemeinsam in Erinnerungen und lauschte dem „Bewahrer“ der Tupolev Tu-144. Für so manchen Flugzeugenthusiasten und vor allem in Russland gab es am 31. Dezember 2018 neben dem Jahreswechsel noch einen weiteren Grund zum Feiern: Am besagten Tag 1968 um 12 Uhr Moskauer Ortszeit hob die Tupolev Tu-144 zum Jungfernflug ab. Dieses Ereignis läutete die Überschall-Ära ein – denn nur wenige Monate danach folgte das britisch-französische Gegenstück, die Concorde, diesem Beispiel. 50 Jahre nach dem Erstflug thront ein Exemplar aus den Produktionshallen des Konstruktionsbüros OKB Tupolev auf dem Dach des Technik Museum Sinsheim: die Tupolev Tu-144 mit der Kennung „CCCP-77112“.
Nachdem das Technik Museum Sinsheim die Zusage für den Erhalt des weißen Supervogels im Jahre 2000 erhalten hatte, wurde er von Alexandr L. Pukhov, dem technischer Chef der Firma Tupolev persönlich, mit dem Transport nach Deutschland beauftragt: Alexey A. Amelyushkin. „Ich musste es machen, mir blieb nichts anderes übrig – sonst hätten sie mich gefeuert“, heute kann der Ingenieur darüber lachen. 44 Jahre lang war er bei der Firma Tupolev beschäftigt. Da war es nicht verwunderlich, dass er stundenlang über den sowjetischen Supersonic berichten konnte. Gerne erinnerte er sich an die Zeit bei Tupolev zurück. Es war ihm eine Ehre mit so vielen talentierten und engagierten Köpfen zu arbeiten. Generell habe man weniger fürs Geld als für die Idee gearbeitet. „Ist ja nicht so, dass es ein normales Flugzeug war. Dieser Flieger war der Inbegriff von Gegensätzlichkeit. Weder die Technik, noch die Materialien arbeiteten zusammen. Vom Zusammenspiel zu Land und in der Luft wollen wir gar nicht reden. Bedenkt man, dass die Tupolev, im Gegensatz zur Concorde, nur über Land flog und in die Stratosphäre aufsteigen musste, um Überschall zu fliegen.“ Noch heute ist er dem Lebed‘ verbunden; das russische Wort für „Schwan“ – so nennen seine Landsleute liebevoll ihre Tupolev. Er selbst hat in seiner Heimat zwei Exemplare, um die er sich kümmert, sie vor dem Zerfall bewahrt: „Mein Leben habe ich der Tu-144 gewidmet. Es steckt so viel Schweiß und Blut und Verstand in diesem Werk. Bis heute habe ich das Geheimnis um dieses Flugzeug nicht lüften können; es ist fast wie ein Weltwunder“, schwärmt der Experte. Ein Mammutprojekt welches viel Kraft erfordert.
So sind von den insgesamt 16 produzierten Maschinen nur noch sieben übrig und eine davon steht auf dem Museumsdach in Sinsheim. Übrigens stellte diese Tupolev noch bis heute ungebrochene Rekorde auf, unter anderem, absolvierte sie den längsten Flug von 7.050 km überhaupt und davon 3 Stunden und 15 Minuten mit Überschall. Damals tat es Amelyushkin sehr leid, dieses Flugzeug an die Deutschen abzugeben, ihm habe das Herz geblutet. Doch als er dann sah, was die Museummitarbeiter mit „seinem Flugzeug“ angestellt, in was für ein Prachtstück sie es verwandelt hatten, ist er überaus erfreut und sehr dankbar darüber. Vor allem dass ein Teil russischer Geschichte im Westen erhalten bleibt. Als es daran ging, die Tupolev zu begehen und das Cockpit zu inspizieren, wurde der Experte sehr wortkarg. Wird den Russen eine gewisse Kühle und Distanziertheit nachgesagt, fielen diese Eigenschaften bei der Frage, wie er sich gerade fühle, in „seiner“ Tupolev zu stehen, von ihm ab. Der eher zurückhaltende Mann konnte seine Emotionen nicht mehr verbergen. Mit Tränen in den Augen gestand er, völlig sprachlos zu sein. Seine Fassung wiedererlangt, war er überzeugt, dass solche Überschall-Flugzeuge, wie die Tupolev und die Concorde, man niemals wieder bauen werden kann.
Quelle: Corinna Siegenthaler