Die Badische Landesbühne präsentiert „Paradiso“ von Lida Winiewicz
(sto) Unter dem Motto „Die Zeit ist aus den Fugen“ präsentierte Die Badische Landesbühne ihr neues Stück „Paradiso“. Nichts ist wie es einmal war. Und genau das greift das Schauspiel von Lida Winiewicz ebenfalls auf und thematisiert Veränderungen im Leben, die jeden irgendwann ereilen.
Vicky und Martha, gespielt von Evelyn Nagel und Ursula Schucht, treffen sich im Park. Rein zufällig, so scheint es zumindest. Martha, eine alte und sehr verbittert wirkende Dame, füttert Enten im Park. Vicky, eine junge und dynamische Frau mit Berliner Schnauze ist gerade arbeitslos, hat es jedoch schon irgendwie auf die alte Martha abgesehen, denn sofort hat sie nämlich für die 81-Jährige eine ausgefüllte Sterbeversicherung parat.
Doch Martha will nichts davon wissen. Sie füttert lieber weiter ihre Enten, um die sich laut Vicky, eigentlich die Stadtverwaltung kümmern müsse.
Durch einen Bandscheibenvorfall muss sich Martha, pensionierte Schulleiterin, jedoch in die pflegenden Hände Vickys begeben, da diese Krankenschwester und mit dem Umgang mit kranken und alten Menschen vertraut ist. Mit der Zeit kommen sich die beiden immer mehr entgegen und die so unnahbare Martha taut in der Gegenwart Vickys richtig auf. Die Beziehung der beiden wird zunehmend herzlicher und vertrauter und Vicky zieht bei Martha ein. Es stellt sich immer mehr heraus, dass die beiden Frauen Vieles gemeinsam haben und zwar nicht nur ihre Einsamkeit, denn auch Vicky scheint nicht besonders viele Kontakte zu hegen.
Immer wieder erzählt Vicky auch vom Pflegeheim Paradiso, doch dieses ist für die noch rüstige Martha kein Thema.
Durch das gemeinschaftliche Zusammenleben profitieren beide Frauen voneinander.
Martha bringt Vicky etwas bei und Vicky im Gegenzug versucht, Martha wieder mehr ins soziale Leben einzugliedern und sie fit zu halten.
Auch eine gemeinsame Reise nach China wagen die Frauen, obwohl Martha anfangs nicht verreisen wollte.
Nach der Reise treten immer mehr Veränderungen auf. Vicky tanzt und knüpft Kontakte. Martha denkt vermehrt an den Tod. Auch ihr gesundheitlicher Zustand verschlimmert sich zunehmend, obwohl Vicky versucht Martha weiterhin zu animieren.
Martha hat Angst, dass Vicky sie verlässt, doch diese schwört ihr, dass sie sie bis zum Schluss pflegen werde.
Am Ende ist Martha nicht ansprechbar und reagiert nicht mehr. Vicky ist mit der Situation überfordert und will Martha in Pflege ins Paradiso geben. Martha hat für Vicky vorgesorgt und ihr zuvor eine Vollmacht ausgehändigt. Bevor die beiden die Bühne verlassen, rezitiert Martha eine Sequenz aus Schillers Ballade: „Liebe und Treue“.
Die Szenen werden immer wieder von Musiksequenzen begleitet. Die Beziehung der beiden Frauen und deren Entwicklung werden nochmals von den Jahreszeiten unterstrichen.
Das Stück möchte aufzeigen, dass ein Zusammenleben zwischen Alt und Jung durchaus profitabel und funktionsfähig sein kann. Nicht ohnehin gibt es in einigen großen Städten bereits eine neue Art der Wohngemeinschaften zwischen Jung und Alt. Es zeigt aber auch, dass eben junge UND alte Menschen einsam sein können und durchaus Kontakte notwendig sind.
Das Stück wirft aber auch die Frage auf: „Wer kümmert sich um die Schwachen oder Hilflosen? Wer MUSS sich um sie kümmern?“ Als Metapher verwendet die Autorin die Enten. Diese sollen eigentlich von der Stadtverwaltung versorgt werden, zeigen sich aber abhängig von Besuchern des Parks.
Auch stellt sich dem Zuschauer die Frage, welche Motivation Vicky haben könnte, um
Martha zu helfen.
Teilweise bildet sich die Meinung, dass Vicky nur auf Marthas Vermögen aus ist, da sie sie zuerst zu der Lebensversicherung überreden will, dann wird die von Martha finanzierte Chinareise angetreten, als Nächstes möchte Vicky eine Vollmacht und am Ende möchte sie ihr Versprechen gegenüber Martha nicht einhalten, sie bis ans Ende zu pflegen, wobei dies nach Marthas letzten Worten noch offen bleibt.
Andererseits ist Vicky tatsächlich für Martha da und bereichert ihre letzten Jahre. Man muss sich allerdings auch in Marthas Situation versetzten, um den Schluss nachvollziehen zu können: Sie hat Martha wirklich gern gewonnen und es fällt einem schwer, jemanden, den man mag, dahinvegetieren zu sehen. Vielleicht würde es Vicky deswegen schwer fallen, Martha bis zum Ende zu pflegen, denn auch ein vorbereiteter langer Abschied von einer geliebten Person kann sehr schmerzvoll sein.
Ob Vicky doch nur Marthas Geld will oder es nur nicht ertragen kann, sie so zu sehen?
Und im Endeffekt sind doch all unsere Besitztümer nur geliehen. Für eine unbestimmte Zeit. Solange wir hier sind. Alles was wir haben, lassen wir nach unserem Tod zurück. Ist es also wirklich so verwerflich, wenn Vicky auch von Marthas Tod in irgendeiner Weise profitiert? Schließlich hat sie sie gepflegt und viel Zeit für sie geopfert. Und kann dann jedem, der erbt, tatsächlich unterstellt werden, er sei nur auf das Geld aus gewesen?
Aus diesem Stück geht man mit gemischten Gefühlen und Gedanken heraus. Aber ein Gefühl ist sicher: Der Schluss rührt zu Tränen.