(zg) Eigentlich sollte hier ein Aufschrei über die verfehlte, gegenüber historischen Implikationen ignorante, neue Drohnenpolitik der Bundesregierung stehen. In der ersten Ausgabe der Kandidaten-Kolumne von Andreas Hahn und mir, die aktuelle Geschehnisse und Debatten aus unserer persönlichen Sicht kommentiert, soll jedoch ein anderes Thema von größter Bedeutung behandelt werden: Alltagssexismus.
Ich habe mich entschlossen, nicht wegzuschauen. Wie die längst überfällige breite Diskussion zu Alltagssexismus angestoßen wurde, interessiert dabei gar nicht so sehr, die Diskussion dreht sich zum Glück längst um tiefer liegende Probleme. Ich werde daher auch nicht auf den Stein des Anstoßes eingehen. Sehr wohl aber möchte ich aber auf den Kern des Themas und den Umgang damit eingehen.
Wenn Boris Becker per Twitter zum Geschlechterkampf aufruft oder Günther Jauch eine Talkshow zum Thema macht, ohne das Thema ernst zu nehmen, dann offenbart sich, wie tief das Problem liegt und wie wenig Menschen fähig sind, sich mit den Vorwürfen konstruktiv auseinanderzusetzen und das eigene Handeln und Denken zu reflektieren. Man bekommt zu hören, die aktuellen Reaktionen seien völlig überzogen, das seien nur harmlose Altherrenspäße, wie es sie schon immer gab. Es ist bequem und doch so respektlos, das Thema herunterzureden, zu bagatellisieren, es nicht an sich heranzulassen. Und es ist falsch, Sexismus nur als ein Problem des Arbeitsplatzes oder des Einkommens zu sehen. Und am allerwenigsten geht es um Humor.
In unserer Gesellschaft werden Menschen häufig Attribute aufgrund ihres Geschlechts zugeordnet. Dies resultiert in einer Erwartungshaltung, dass diese Attribute auch erfüllt werden, und viele Menschen behandeln andere in dieser Erwartungshaltung, anstatt jeden Menschen unabhängig von seinem Geschlecht und anderen oberflächlichen Merkmalen zu respektieren. Der Samen hierfür wird häufig bereits im Kindesalter gesät. Muss man wirklich mit Geschenken an die Eltern eines ungeborenen Kindes warten, dessen Geschlecht noch nicht ermittelt wurde, um nichts »falsch« zu machen? Und welche nachhaltige Prägung hinterlässt wohl geschlechterspezifische Werbung für Kinder? Oder: Wäre der Saarbrückener Tatort vom Sonntag ohne verdrehte Geschlechterrollen witzig gewesen?
Die Piratenpartei setzt sich deshalb mit ihrem Programm dafür ein, Gesellschaftsstrukturen zu überwinden, die sich aus Geschlechterrollen ergeben und daher dem Individuum nicht gerecht werden. Wir Piraten setzen uns auch dafür ein, dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, wo sich Geschlechterunterschiede unbemerkt und vermeintlich natürlich eingeschlichen haben.
Ein progressives Programm macht aber noch keine Partei ohne Sexismus. Im Gegenteil glaube ich, dass – wie in der Gesellschafft auch – Alltagssexismus bei uns viel zu oft kleingeredet wird. Das Schwärmen von einer post-gender-Welt, so erstrebenswert und wichtig dieses Ziel ist, hindert uns zuweilen daran, real existierende und zum Himmel schreiende Geschlechterungerechtigkeiten mit vollem Elan anzugehen.
Und deswegen habe ich mich entschieden darüber zu schreiben. Es ist eine gesamtgesellschaftliche und gleichsam individuelle Aufgabe, selbstkritisch nach Sexismus bei sich zu suchen und ihn nicht mehr zu tolerieren. Es ist auch ein Auftrag an meine Generation, es besser zu machen, schon immer Dagewesenes zu hinterfragen. Wahrscheinlich werden wir damit nicht alles verändern oder gar Weltfrieden durchsetzen. Versagt hätten wir nur dann, wenn der Sexismus uns überlebt.
Quelle: Stevan Cirkovic, Piratenpartei