Handwerkstag legt 15-Punkte-Plan für Bürokratieabbau vor
(zg) Überflüssige Gesetze, komplexe Regelungen, ausufernde Informationspflichten – vor allem kleinere Handwerksbetriebe stöhnen unter diesen Lasten. Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) hat deshalb Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut ein 15-Punkte-Programm zum Bürokratieabbau vorgeschlagen.
Gerade für die kleinen Handwerksbetriebe ist überbordende Bürokratie eine große Herausforderung. „Der Handwerker geht raus auf die Baustelle, Büroarbeit kommt erst an zweiter Stelle und kann meist nur nebenher erledigt werden“, meint Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Da fehle ganz einfach die Zeit, um sich in komplexe Regelungen und ständige Neuerungen einzuarbeiten.
Der Handwerkstag hat ein 15-Punkte-Programm vorgelegt, das ganz konkrete Verbesserungsvorschläge enthält. Generell sieht der BWHT viel Handlungsbedarf im Vergabebereich. Die Wertgrenzen für die freihändige Vergabe sollten angehoben, Ausschreibungen nicht mit vergabefremden Aspekten überfrachtet werden. Dazu gehört auch die Entschlackung der Landesbauordnung von teuren Pflichten wie dem Bau von Fahrradstellplätzen oder der Dachbegrünung. Ebenso steht auf der Agenda des Handwerks die Entschärfung der Rundfunkbeiträge für betrieblich genutzte Fahrzeuge oder die Verringerung der Dokumentations- und Nachweispflichten von Förderprogrammen. „Wenn ein Interessent für eine vom Europäischen Sozialfonds geförderte Weiterbildung erst mehrere Seiten ausfüllen muss, beflügelt das den Willen zur Weiterbildung nicht gerade“, so Reichhold. Ähnliches gilt bei den Förderprogrammen zur Energieeffizienz. Auf Bundesebene gibt es die Programme der BAFA und der KfW, auf Landesebene noch Programme der L-Bank. Die teilweise unterschiedlichen Bedingungen machen es den Betrieben schwer, solche Programme zu bewerben. Auch die Immobilienbesitzer oder Bauherren seien verwirrt. Eine gewisse Vereinheitlichung täte Not. Auf Bundesebene gilt seit letztem Jahr eine „One in, one out“-Regelung, nach der für jede neue Regel eine alte gestrichen wird, allerdings mit vielen Ausnahmen. Das Land müsse hier mit gutem Beispiel vorangehen und eine ähnliche Regelung einführen, die weniger Ausnahmen zulässt. Reichhold: „Bürokratieabbau ist ein wichtiges Element im Koalitionsvertrag. Es wird Zeit, dass es mit Leben gefüllt wird.“
15-Punkte-Programm zum Bürokratieabbau
Der Bürokratieabbau ist ein großes Anliegen des Handwerks. Denn Handwerksbetriebe haben im Durchschnitt sechs tätige Personen, wobei die Inhaber zu großen Teilen operativ tätig sind. Sie haben kaum Zeit, sich ständig in neue und komplexe Regelungen einzuar-beiten. Daher hat der BWHT ein 15-Punkte-Programm mit ganz konkreten Vorschlägen und Forderungen zum Bürokratieabbau erarbeitet. Dabei steht die Landesebene im Fokus. Daneben ist die Landespolitik aufgerufen, sich über den Bundesrat oder ihre Kontakte nach Europa auch für eine bessere Rechtssetzung auf nationaler oder europäischer Ebene einzusetzen.
1. One-In-One-Out-Regel auf Landesebene einführen und erweitern
Auf Bundesebene gilt seit 2015 eine Regelung, nach der für zusätzlichen Erfüllungsauf-wand der Wirtschaft an anderer Stelle Erfüllungsaufwand abgebaut werden muss. Aller-dings gibt es viele Ausnahmen, wie zum Beispiel die Umsetzung von EU-Vorgaben, so-dass bislang wenig von der Regelung zu spüren ist. Die Landesregierung hat im Koaliti-onsvertrag festgelegt, eine solche Regel für Verwaltungsvorschriften einzuführen.
Das Handwerk fordert: Baden-Württemberg muss mit gutem Beispiel vorangehen. Das Land muss eine erweiterte One-In-One-Out-Regel einführen, die sich nicht nur auf Verwaltungsvorschriften, sondern auf alle Regelungen bezieht.
2. KMU-Alarm reaktivieren
Über 90 Prozent der Bürokratiebelastung kommt vom Bund oder der EU. Mit dem KMU-Alarm kann die Landesregierung bei Gesetzgebungsverfahren von Bund oder EU die KMU-Organisationen auf kommende Bürokratiebelastungen aufmerksam machen und steuernd eingreifen. In den letzten Jahren war es sehr ruhig um dieses Instrument.
Das Handwerk fordert: Die Landesregierung muss zur Unterstützung der heimischen Betriebe auch über die Landesgrenzen hinausblicken. Daher muss der KMU-Alarm wieder reaktiviert werden.
3. Landestariftreue- und Mindestlohngesetz abschaffen
Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes auf Bundesebene ist das Tariftreue- und Mindestlohngesetz auf Landesebene obsolet geworden. Der Flickenteppich aus unter-schiedlichen vergabespezifischen Mindestlöhnen in den einzelnen Bundesländern muss endlich aufgelöst werden. Zudem ist es in Teilen europarechtswidrig.
Das Handwerk fordert: Eine sofortige Abschaffung des Landestariftreue- und Mindest-lohngesetzes.
4. Dokumentationspflichten beim Bundes-Mindestlohngesetz vereinfachen
Das Ausfüllen notwendiger Dokumente zum Mindestlohn bleibt unverhältnismäßig aufwen-dig. Bis auf wenige Nachbesserungen im vergangenen Sommer durch die Mindestlohndo-kumentationspflichten-Verordnung ist nichts mehr passiert. Zudem stehen Rechtsunsi-cherheiten weiterhin ungelöst im Raum – z.B. welche Praktika sind mindestlohnpflichtig und wie weit reicht die Auftraggeberhaftung im Einzelfall?
Das Handwerk fordert: Weitere Erleichterungen in der Dokumentationspflicht und die von der Bundesregierung zugesagten klarstellenden Rechtsbegriffe.
5. Kleinbetriebsklauseln einführen
Von vielen gesetzlichen Regelungen sind Handwerksbetriebe aufgrund ihrer Größe nicht unmittelbar betroffen, dennoch gelten die Regelungen grundsätzlich auch für sie. Ausnah-metatbestände müssen erst nachgewiesen werden. Beispielsweise haben alle Beschäftig-ten einen Anspruch auf Bildungszeit; in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten kann der Arbeitgeber einen entsprechenden Antrag jedoch ablehnen. Er muss den Grund seiner Ablehnung aber schriftlich und fristgerecht darlegen. Dies erzeugt viel Bürokratie.
Das Handwerk fordert: In diesen Fällen Kleinbetriebe mit weniger als zehn Beschäftig-ten gleich zu Beginn vom Gesetz auszunehmen. Dies würde erheblichen Bürokratie-aufwand einsparen. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen Beschäftigten und Vollzeitstellen. Eine Definition über die Anzahl der Beschäftigten benachteiligt Gewer-ke mit einem hohen Anteil Teilzeitbeschäftigter.
6. Wertgrenzen für die Ausschreibung öffentlicher Aufträge anheben
Das Land kann Wertgrenzen festlegen, die es öffentlichen Auftraggebern erlauben, Aufträ-ge bis zu einer gewissen Höhe beschränkt auszuschreiben oder freihändig zu vergeben. Die Wertgrenzen sind damit ein wichtiges Mittel, um die regionale Wirtschaft zu stärken und Bürokratie abzubauen. Aufträge für Betriebe vor Ort sichern Arbeitsplätze vor Ort.
Das Handwerk fordert: Zur Stärkung der regionalen Wirtschaft die Wertgrenzen auf die Werte aus dem Konjunkturpaket II anzuheben: freihändige Vergabe für Bauleis-tungen bis zu 100.000 Euro, beschränkte Ausschreibung für Bauaufträge bis zu einer Million Euro sowie beschränkte Ausschreibung oder freihändige Vergabe für Liefer- und Dienstleistungen bis zu 100.000 Euro.
7. Ausschreibungen nicht mit vergabefremden Aspekten und Eigenerklä-rungen überfrachten
Gerade kleine mittelständische Betriebe haben oft nicht die Kapazitäten, um den bürokrati-schen Aufwand zu bewältigen, der durch vergabefremde Aspekte und Eigenerklärungen zu sozialen und ökologischen Aspekten einhergeht.
Das Handwerk fordert: Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass das öf-fentliche Beschaffungswesen nicht noch weiter durch vergabefremde, strategische Aspekte und Eigenerklärungen überfrachtet wird.
8. Angebotserstellung angemessen vergüten
Betriebe, die an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen, müssen zunächst in Vorleistung gehen: Für die Angebotsunterlagen müssen oft Gebühren in Höhe von 50 bis 80 Euro be-zahlt werden. Hinzu kommt noch die erhebliche Arbeitszeit für die Angebotskalkulation. Immer wieder geht der Zuschlag dann doch an überregionale Bieter. Die Bereitschaft örtli-cher Betriebe zur Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen nimmt ab – eine Entwick-lung, die auch von vielen Kommunen beklagt wird.
Das Handwerk fordert: Die Angebotserstellung bei Vergaben des Landes sowie im kommunalen Bereich soll angemessen vergütet werden.
9. Landesbauordnung entschlacken
Die grün-rote Landesregierung hat in der letzten Legislaturperiode eine Fahrrad-Stellplatzpflicht und eine Dach- und Fassadenbegrünungspflicht in der Landesbauordnung durchgesetzt. Solche Pflichten werden aus Sicht des Handwerks dem Einzelfall nicht ge-recht und verteuern das Bauen nur unnötig.
Das Handwerk fordert: Die Landesregierung soll die Landesbauordnung dahingehend wieder entschlacken.
10. Rundfunkbeitrag für Fahrzeuge entschärfen
Das Handwerk steht grundsätzlich hinter dem Rundfunkbeitrag. Das System „Ein Haus-halt/eine Betriebsstätte – ein Beitrag“ ist prinzipiell gut. Der Zusatzbeitrag für Fahrzeuge ist jedoch systemfremd. Er sorgt für hohe Zusatzbelastungen bei den Betrieben und für einen hohen Meldeaufwand. Eine komplette Streichung des Fahrzeugbeitrags scheint derzeit nicht durchsetzbar. Es ist aber möglich, den betroffenen Betrieben durch die Freistellung eines Teils der Fahrzeuge zielgerichtet und zeitnah zu helfen.
Das Handwerk fordert: Modelle zur teilweisen Freistellung der Fahrzeuge innerhalb des bestehenden Systems: Denkbar wäre dabei z.B. die Freistellung jedes zweiten
Fahrzeuges oder die Gewährung größerer Freikontingente, gestaffelt nach der Be-schäftigtenzahl.
11. Dokumentationspflichten bei der Förderung durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) verringern
Der Verwaltungsaufwand bei ESF-Förderprogrammen ist im Vergleich zur vorigen Förder-periode noch einmal stark angestiegen. Die Datenerfassung bei der Fachkursförderung umfasst mittlerweile elf Seiten pro Teilnehmer (vier Seiten manuelle Zielgruppenabfrage plus sieben Seiten Teilnehmerfragebogen). Zudem müssen viele Angaben doppelt ge-macht werden. Viele Teilnehmer benötigen Hilfe beim Ausfüllen. Ganz problematisch ist es, wenn während einer laufenden Förderperiode zusätzliche Daten nachgewiesen werden sollen. So wurde während der letzten Periode im Moderatorenprogramm eine Auflistung der Betriebe, deren Inhaber einen Migrationshintergrund haben, verlangt.
Das Handwerk fordert: Ein einziges verschlanktes Formular für Anmeldung und Ziel-gruppenabfrage ist völlig ausreichend. Zudem muss zu Beginn der Förderperiode ver-bindlich festgelegt werden, welche Daten abgefragt werden. Diese Festlegung muss während der gesamten Periode beibehalten werden.
12. Förderprogramme für energetische Sanierungsmaßnahmen vereinfa-chen
Die derzeit unterschiedlichen Förderbedingungen bei BAFA und KfW sorgen für Verwirrung bei Bauherren und Handwerkern, die diese Programme als Anreiz für eine Sanierung be-werben wollen. Zudem sollten die umfangreichen technischen Anforderungen gesenkt und die Pflicht für die Einbindung eines Energieberaters (KfW) auch bei einer Standardsanie-rung abgeschafft werden.
Das Handwerk fordert: Eine Vereinheitlichung der verschiedenen Bundesprogramme durch das Land, da mit diesen Instrumenten auch die Klimaschutzziele des Landes angestrebt und hierdurch die Hürden für Bauherren gesenkt werden.
13. Manipulationssichere Ladenkassen mit Augenmaß einführen
Mit dem Auslaufen der sogenannten Kassenrichtlinie 2010 zum 31.12.2016 müssen La-denhandwerke zum Jahreswechsel 2016/2017 Kassen, die keine einzelnen Geschäftsvor-fälle aufzeichnen können, austauschen. Gleichzeitig plant die Bundesregierung zum Jahr 2019 eine Pflicht zum Einsatz technischer Systeme, die eine Manipulation der Kasse ver-hindern. Diese Systeme befinden sich derzeit noch in der Planung. Der Handwerksbetrieb muss also jetzt eine neue Kasse kaufen, die er in zwei Jahren wieder austauschen muss.
Das Handwerk fordert: Eine Verlängerung der Kassenrichtlinie 2010 bis Ende 2018, damit nur einmal eine Investition und eine Umstellung der Kassensysteme getätigt werden muss.
14. Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge korrigieren
Das Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge bedeutet neben Einbußen bei der Liquidität, dass Betriebe (z.B. bei der Auszahlung von Überstunden) die Beitrags-höhe zunächst schätzen und im Nachgang korrigieren müssen. Laut einem Bericht des Normenkontrollrates leiden insbesondere kleine Unternehmen unter diesem komplexen Verfahren. Pro Mitarbeiter fallen für den gesamten Prozess in kleineren Unternehmen bei interner Abrechnung 3,14 Euro, bei externer Durchführung 5,50 Euro an (große Unterneh-men 1,33 Euro vs. 4,00 Euro). Der Erfüllungsaufwand zur Abführung der Sozialversiche-rungsbeiträge liegt in ganz Deutschland pro Jahr bei 1,456 Mrd. Euro. Eine komplette Rückverlegung der Fälligkeit würde Einsparungen im Umfang von 81 Mio. Euro pro Jahr bei allen Unternehmen insgesamt ermöglichen. Das derzeit auf Bundesebene diskutierte erleichterte Beitragsverfahren würde immerhin noch zu Einsparungen von 64 Mio. Euro führen.
Das Handwerk fordert: Politische Unterstützung zur Einführung des erleichterten Bei-tragsverfahrens.
15. Elektronische Buchführung KMU-freundlich machen
Die „Grundsätze zur ordnungsmäßigen Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff“ (GoBD), welche seit dem 01.01.2015 gültig sind, stellen die Betriebe vor vielfältige bürokratische Herausforderun-gen. Insbesondere die fälschungssichere Archivierung elektronischer Dokumente und die Vorhaltung entsprechender Soft- und Hardware für einen möglichen späteren Zugriff der Finanzverwaltung belasten insbesondere kleinere Betriebe erheblich.
Das Handwerk fordert: Angesichts der hohen Zahl an kleinen Unternehmen müssen bei zukünftigen Überarbeitungen dieser Verwaltungsvorschrift ganz besonders die Bedürfnisse dieser Betriebe im Blick behalten werden.
Quelle: Eva Hauser