(zg) „Was bedeutet es, wenn sich die Bevölkerungszahl in einem Landkreis verändert und immer mehr Senioren dort leben, aber zugleich weniger Menschen geboren werden?“ Mit dieser Frage leitete Stefanie Jansen, Sozialdezernentin des Rhein-Neckar-Kreises, einen Vortrag ein, der sich genau mit dieser Thematik, dem demografischen Wandel, beschäftigte. Ihr Dezernat hatte den Experten Dr. Ulrich Bürger eingeladen, vor Mitarbeitern des Landratsamtes sowie Mitgliedern des Ausschusses für Soziales und des Jugendhilfeausschusses über „kommunalpolitische Herausforderungen im Lichte des demografischen Wandels“ zu referieren.
Dr. Bürger arbeitet beim Kommunalverband Baden Württemberg für Jugend und Soziales und beschäftigt sich beruflich schon seit den 1990er Jahren mit der Bevölkerungsentwicklung in den 44 Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs. Für seinen Vortrag im Heidelberger Landratsamt hatte er viele Statistiken mitgebracht, anhand derer er die Entwicklung im Rhein-Neckar-Kreis näher beleuchtete. Insgesamt, so seine Prognose, die auf Berechnungen des Statistischen Landesamtes basieren, werde die Zahl der Einwohner im Land und im hiesigen Kreis bis zum Jahr 2060 sogar leicht steigen. Doch dabei gelte es zu beachten, dass sich die Altersgruppen am Anteil der Gesamtbevölkerung teilweise stark verschieben. Landesweit sinkt demzufolge die Zahl der 21- bis 65-Jährigen (laut Bürger aus volkswirtschaftlicher Sicht die „produktivste Lebensphase“) von 6,31 Millionen im Jahr 2012 auf 5,56 Millionen im Jahr 2060. Ein ähnlicher Rückgang wird für die Gruppe junger Menschen bis 21 Jahren erwartet. Im Rhein-Neckar-Kreis werde die Zahl der 15 bis unter 18-Jährigen bis 2025 um 8,8 Prozent zurückgehen. Insgesamt aber, das war die positive Nachricht, weise der Kreis im Jahr 2030 bei der Gruppe der 0- bis unter 21-Jährigen ein Plus von 4500 (107.300 im Jahr 2014 zu 111.800 im Jahr 2030) auf.
„Es mag wie ein Paradox klingen – aber der demografische Wandel und der damit verbundene Rückgang in der Zahl junger Menschen erfordert nicht weniger, sondern mehr Engagement und mehr Investitionen in Kinder und Familien“, lautete die Schlussfolgerung des Jugendhilfe-Fachmanns. Die Geschwindigkeit und die Ernsthaftigkeit, mit der dieser Sachverhalt zur Kenntnis genommen und in konkretes Handeln umgesetzt werde, entscheide wesentlich über die Zukunftschancen der Städte und Gemeinden sowie der Kreise. Bürger bescheinigte dem Rhein-Neckar-Kreis bei der Kinderbetreuung gut aufgestellt zu sein: Mit einer Quote von 31,7 Prozent (Anteil der unter Dreijährigen in Kindertagesbetreuung am 1. März 2015) nimmt der Kreis im Landesvergleich eine Spitzenposition ein. Handlungsbedarf sieht der Diplom-Pädagoge beim Ausbau der offenen und verbandlichen Jugendarbeit sowie bei der Schulsozialarbeit, „in die Ihr Kreis in letzter Zeit ja stark investiert, wie ich mitbekommen habe“.
Als Konsequenz für die kommunale Gestaltung der bevorstehenden „Neujustierungen im generationsübergreifenden Miteinander“ empfiehlt Ulrich Bürger einen gemeinsam getragenen Gestaltungsprozess „in einer sozialen Kultur, die generationenübergreifend denkt und handelt sowie die darin angelegten Chancen nutzt“. Als konkrete Beispiele brachte er die Einrichtung von Familienzentren und Mehrgenerationenhäuser ins Spiel. Im „Interesse einer ökonomischen Zukunftssicherung“, so Dr. Bürger, seien Kreise und Kommunen gut beraten, die Vereinbarkeit von Familie, Erziehung und Beruf in den kommenden Jahren noch besser zu ermöglichen.
Für die in seinem Vortrag angesprochene Entwicklung müssten die kommunalpolitisch Verantwortlichen sensibilisiert werden, forderte der Experte. „Der demografische Wandel erfordert – bei allem Respekt vor der Eigenständigkeit und der originären Verantwortung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden – einen tendenziellen Bedeutungszuwachs einer gesamtplanerischen Perspektive auf der Ebene der Landkreise“, lautet das Fazit seiner jahrelangen Betrachtungen des demografischen Wandels in Baden-Württemberg. Insbesondere in ländlicheren Räumen werde die Aufrechterhaltung einer funktionalen und bezahlbaren sozialen Infrastruktur ohne eine kreisweit koordinierte Planung kaum leistbar sein, gab Dr. Ulrich Bürger den Zuhörern am Ende seines sehr gut strukturierten Vortrags mit auf den Weg.
Quelle: Silke Hartmann