15 kg Brombeeren habe ich gepflückt. Wisst ihr was das heißt?
Hinter unserem Grundstück ist die Böschung zum Ackergelände schön verwildert. Auf eine Länge von ca. 50 m haben sich Brombeersträucher fest eingenistet. Sonst verbreitet sich Unkraut ohne dazutun, hier hat sich die Brombeere ohne Rücksicht auf andere Pflanzen ausgebreitet.
Da ich jetzt als Pensionär genügend Freizeit habe, bin ich natürlich solchen Dingen, wie Beeren pflücken sehr aufgeschlossen.
Ich erinnere mich dann gerne an meine Kindheit. Zu jener Zeit war Beerenpflücken „in“. Da ich auf dem Dorf groß geworden bin, mussten wir Kinder Beeren jeglicher Art pflücken. Wir wussten genau die Stellen, an denen Himbeeren, Brombeeren und Heidelbeeren wuchsen. Selbstverständlich gehörten zu unseren Sammelgütern auch Pilze. In der Heidelbeerzeit wuchsen Pfifferlinge, später die Steinpilze. Im Wald war ich richtig daheim. Meine Spezialität war das Heidelbeerpflücken. Es ist die mühseligste Arbeit, die man sich vorstellen kann. Unsere Mutter war da knallhart. Sie hatte sich den Bibelspruch: “Müßiggang ist aller Laster Anfang“ bei uns Kindern ganz besonders auf die Fahne geschrieben. Sie konnte nicht sehen, wenn wir spielten oder unsere Freiheit genossen. Wenn ihr nichts einfiel, wie Holz holen im Wald, Grünfutter besorgen für unsere Hasen und Ziegen oder im Garten umgraben, Unkraut jäten usw., schickte sie uns zu den Bauern und das war das Schlimmste für uns Kinder. Oft gleich nach der Schule ging es auf den Acker. Und wenn ich den Acker sah, dachte ich: Oh Gott, da werde ich wieder bis zur Dunkelheit Kartoffeln zusammenlesen, Rüben bearbeiten, mit einem Beil das Grünzeug köpfen, aber natürlich nicht zuviel von der Rübe abhacken, Heu machen, d.h. wenden, häufeln, aufladen, abladen, den Gaul führen beim“ Zackern“, aufpassen, damit man nicht die Füße unter die Hufe bekommt, und und und. Abends wenn es dunkel wurde, kamen wir nach Hause. Oft gab es lediglich eine Milchsuppe. Wenn ich die sah, hatte ich schon gegessen. Meist zappelte noch eine Fliege in dieser unsäglich schlecht schmeckenden Suppe. Manchmal wurde auch gevespert. Da gab es dann Blutwurst und Schwartenmagen, seltener Leberwurst. Letztere war schon ein wenig edel. Die aßen die Bauern lieber selber. Schinken war eine kostbare Rarität, die ich als armseliger Flüchtlingsbub nie vorgesetzt bekam. Unser gesellschaftliches Niveau war damals halt unterste Stufe. Die etwas reicheren Bauern sahen auf uns herab. Die armen Leute im Dorf, wie die alte Frau Herbinger oder die „Geiersch Marie“, waren gut zu uns. Ich litt saumäßig. Besonders wenn Flüchtlingswitze erzählt wurden. So wie jener: „ Hattet ihr auch 50 Hektar daheim? Ja? Gell, 50 Hektar Wind ums Haus!“ Oder: „Hattet ihr auch jede Menge weiße Pferde daheim? Ja? Gell, es waren weiße Ziegen!“ Die Witze kamen natürlich nicht von ungefähr. So mancher Landsmann hatte bei der Angabe seines Vermögens geflunkert. Es gab damals einen Lastenausgleich, den Vertriebene und Flüchtlinge als Ausgleich für ihre Bauernhöfe und verlorenes Vermögen bekamen.
Zu jener Zeit war ich der ungekrönte Heidelbeerkönig. Zumindest meinte ich dies damals und ich denke auch heute. In der Ferienzeit, es war meist im Juli, so Anfang Juli, gab es in unseren Wäldern um Hollerbach jede Menge Heidelbeeren. Morgens ging es mit einem 10 Liter Wassereimer in den Wald und abends, wenn der Eimer voll war, ging es nach Hause. Eine mühseligere Arbeit kann man sich nicht vorstellen. Die Heidelbeeren sind doch recht klein und es ging elend langsam. Die Beeren durften nicht nass sein, also nicht gedrückt werden und es durften auch keine Blätter dabei sein. Die schönsten Heidelbeeren kamen dann obendrauf. Schon wegen der Dekoration. Von wegen Ferien, Urlaub.
Unsere Kinder können sich diese Entbehrungen und diese Ausdauerarbeiten absolut nicht vorstellen. Es war eine ganz andere Erziehung in ärmlichen Verhältnissen. Und doch liebten wir unsere Eltern. Ich muss auch heute noch sagen, dass wir, zumindest mein Bruder Waldemar und ich hauptsächlich in der Schule lernten, damit die Eltern sich freuten, wenn wir gute Noten nach Hause brachten. Und wir waren beide gute Schüler. Ich hatte damals den Spitznamen „Geschichtsprofessor“, weil ich damals den Spruch Napoleons parat hatte, in dem er am Grabe Friedrich des Großen sprach:“ Wenn du noch leben würdest, würde ich heute nicht hier stehen!“ Wenn mein gescheiter Schwiegersohn Alexander das lesen wird, wird er bestimmt sagen, das ist doch gar nicht richtig. Er hat das nicht gesagt.
Wenn ich schon bei den Entbehrungen bin, möchte ich noch meine acht Jahre als Ministrant anführen. In unserem Dorf mit 120 Einwohnern gab es naturgemäß wenige Kinder. Unser Jahrgang 1940 war mit sechs Kindern stark vertreten. Es gab Jahrgänge, da gab es überhaupt keine Kinder. Nun ja, als Ministrant musste ich jeden Tag vor 7.00 Uhr in der Kirche sein und die Glocken mit einem Leidensgenossen läuten. Am Sonntag, wenn ich Dienst hatte, musste ich dreimal in die Kirche gehen. Zur Morgenandacht gingen die Hausfrauen, die kochen mussten, in die Kirche. Zum Hauptgottesdienst ging der große Rest. Er dauerte 1 ½ Stunden. Als Ministrant musste ich meist am Altar „bewegungslos“ knien. Das war kein Zuckerschlecken. Am Nachmittag war dann noch eine Andacht.
Eigentlich müsste ich im Himmel noch ein gutes Konto haben. Es wäre schlimm, wenn das der liebe Gott nicht anrechnen würde.
Jetzt wurde ich in meinem Tagtraum jäh von einem Schmerz unterbrochen. Ich hatte vergessen, dass die Brombeeren Stacheln oder heißt es Dornen, hatte. Ein Brombeerzweig hatte sich fest in meinem Arm verhakt. Das tat weh.
Eigentlich war ich gut angezogen. Trotz sengender Hitze von über 30 Grad hatte ich ein altes ehemaliges Diensthemd mit langen Armen angezogen. Darüber eine meiner geliebten grünen Latzhosen vom Lumpenzwick und schließlich Gummistiefel. Von der Teichfilterkammer hatte ich die Aluanlehnleiter dabei, sodass ich auch in höhere Regionen aufsteigen konnte. Ganz oben waren nämlich die schönsten und größten Beeren. Meine Hände waren ganz schön verstochen und verkratzt, natürlich auch blau vom Brombeersaft. Über der Hose hatte ich einen Ledergürtel festgezurrt und daran hing der Eimer für die Beeren. So konnte ich mit beiden Händen die Brombeeren pflücken, bzw. mit einer Hand den Zweig festhalten. Halt! Ich hatte noch ein Hilfsmittel dabei und zwar einen ca. ein Meter langen dünnen Eisenstab, der an beiden Enden gebogen war. So konnte ich die Zweige heranziehen und relativ bequem die Beeren pflücken.
Meine liebe Frau Inge hatte dann die Arbeit mit den vielen Brombeeren. Sie machte Saft und Marmelade und einen phantastischen Kuchen, der so dick, mindestens vier Zentimeter, mit Brombeeren belegt war, das es eine wahre Freude war hinein zu beißen. Beim ersten Kuchen machte sie noch Sahne dazu. Bei den nächsten beiden nicht mehr, mit Rücksicht auf unsere Figur.
Es gibt noch große Liebhaber meiner Brombeeren. Nämlich unsere Kois. Da sie ja auch Vitamine benötigen, probierte ich es ganz einfach. Sie sind ganz verrückt danach. Aus Gründen der Gerechtigkeit nahm ich immer eine ganze Handvoll und warf sie in den Teich. So hatte jeder Fisch die Möglichkeit sich eine saftige Beere zu schnappen. So machen es übrigens die Japaner, wie uns Herr Kretschmann, unser Koihändler erzählte. Oder habe ich es im Koikurier oder im Clan gelesen. Egal. Die Einkäufer der Kois in Japan, die Händler und betuchte Privatpersonen fahren/fliegen jedes Jahr ein oder mehrmals nach Japan, bekommen jeder einen Kescher in die Hand und auf ein Kommando dürfen sie jeweils einen Superfisch heraus fangen. Natürlich geht es bestimmt auch anders. Manche Händler kaufen den Inhalt ganzer Becken. Aber mehr will ich von den Kois nicht schreiben. Das ist ein anderes Thema.
Noch mal kurz zurück zum Beerenpflücken. Alles was man in seiner Kindheit machen musste, macht man als Erwachsener gerne. Das Holzmachen war mir in meiner Kindheit ein Gräuel. Die Gartenarbeit war noch schlimmer. Die Arbeit beim Bauern das Übelste. Heute liebe ich die Gartenarbeit, eingeschränkt das Beerenpflücken und gerne das Holzmachen mit Motorsäge und alles was dazugehört, einschließlich Anhänger. Nur zum Bauern arbeiten gehe ich bestimmt nicht mehr.
Quelle: Adolf Skrobanek