Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, die ihr alle die Idee hattet, hierher zu kommen! Wir freuen uns alle gemeinsam über ein Thema, das uns in der Vergangenheit sehr bewegt hat und auch dazu beitrug, viel zu bewegen. Ich glaube, von den Anwesenden kennen mich viele, und viele glauben mich zu kennen, doch kennen mich die meisten nur halb so gut wie sie glauben.
Vielleicht liegt das ja an meinen dreckigen Arbeitsklamotten, die ich, wie ihr schon ganz richtig vermutet, nur zu Gelegenheiten ausziehe, die hier niemand was angehen… Mein Leben ist nun mal vorwiegend Arbeit. Die aber endet nicht am Werkstor, wenn ich den Gabelstapler zur Nachtruhe parke. Ich glaube nämlich, dass es auf mehr ankommt als nur die eigene Gabel und den persönlichen Tellerrand. Der Anlass, aus dem wir uns hier treffen, scheint mir ein guter Beweis zu sein dafür.
Ihr hättet ja auch daheim bleiben können. Nicht nur heute – sondern auch, als es drauf ankam: Rückgrat zu zeigen, sich eben NICHT alles gefallen zu lassen, was sich irgendjemand ausdenkt – mit Folgen für alle. Nicht nur mit den Schultern zu zucken nach dem Motto „da kamma eh nix machen“. Kann man eben doch. Und manchmal muss man sogar. Wir alle sind hier, weil sich genau das gelohnt hat. Dafür möchte ich mich bedanken. Bei allen, die mit dabei waren. Mit Wort und Tat, mit Hand und Herz, im Geiste – und manchmal alles zusammen.
Wir haben, kann man glaub‘ ich so sagen, für etwas gekämpft. Nebenbei – neben unserer Arbeit. Die ging ja weiter. Und wir haben erreicht, was wir wollten. Für mich das Schönste dabei: Wir haben es mit Anstand erreicht und Freundschaften sind dabei entstanden.
Ich möchte euch was sagen. Als ich vor zwei Jahren vor den Trümmern meiner Arbeit stand, weil 31.000 Liter Met, vier Jahre Arbeit, über Nacht in die Kanalisation geflossen waren nach der mutwilligen Zerstörung in der Metsiederey – da habe ich einen Moment lang überlegt, ob ich mich ergeben soll: der Verzweiflung, und dem Hass. Vielleicht ist es ganz gut, dass diejenigen, die es nötig hatten, mir das anzutun, unbekannt geblieben sind. Ein Glück für diese Feiglinge – Täter wie Auftraggeber – aber noch mehr Glück für mich. Ich habe mich nämlich entschieden.
Dafür entschieden, anders zu sein – anders als nicht erfolgreiche Leitpfosten Speerwerfer bzw. versuchte Fensterscheiben-Einschmeißer oder klammheimliche, obermutige Reifenventil-Absäger und Stecher. Anders auch als Neider, Intrigen-Aushecker, Hintenrum-Schwätzer und sonstige Falschspieler, Rechtsbrecher – oder was der armen Seelen mehr sind. Ich habe – und da befinde ich mich in bester Gesellschaft mit euch, liebe Mitbürger, da seid ihr mir Vorbild – mir meine Ehre nicht abkaufen lassen, nicht absägen, und schon gar nicht einäschern. Stattdessen entschied ich mich, zu bleiben: der, der ich bin. An dem Platz, wohin ich
gehöre. Wo schon mein Vater und auch der Urgroßvater Schnaps gebrannt hat. Und wo ich noch immer brenne – nicht nur Schnaps. Sondern auch mit dem Herzen. Ihr seid meine Zeugen, meine Nachbarn, meine Freunde.
Jedem von euch geb ich die Hand – auch meinen ehrlichen Gegnern. Wir treffen uns auf gleicher Augenhöhe. Mit Achtung und Respekt. Wir haben verschiedene Meinungen, manchmal. Wir haben ja auch Verschiedenes erlebt. Der Streit der Vergangenheit hat Gräben in unser Dorf getrieben. Gemüter haben sich hochgeschaukelt, Meinungen verkeilten sich, Standpunkte standen voreinander und wollten sich nicht mehr bewegen, Misstrauen wurde gesät, Freundschaften sind zerbrochen. Das ist schlimmer als kaputtes Fensterglas oder ein paar Hektoliter vergossener Honigwein. Glas lässt sich erneuern, Met wieder neu sieden. Gebrochene Herzen aber lassen sich nur beweinen, und genau dafür braucht man doch Freunde! Ihr habt bewiesen, dass es sich lohnt, zusammenzustehen.
Zusammenzuhalten. Für eine Idee. Die kleine, feine Idee, anständig zu sein – und zu bleiben. Egal, was passiert. Egal, wer falschspielt. So einer tut sich nur selber was an. Der hat keine Ehre. Der ist zurecht neidisch – auf die, alle die, die anders können. Die mehr wagen. Die es wagen, sich und ihrem Glauben treu zu bleiben – und einander die Hand zu reichen.
Gegen alle Widerstände, wenn’s sein muss. Gegen Gemeinheiten sowieso. Wir hatten auch Glück. Die Gesetze waren letztlich auf unserer Seite. Wir haben im Grunde nur verhindert, dass sie umgangen wurden. Das beweist, dass Gesetze allein überhaupt nichts nützen. Es braucht Bürgerinnen und Bürger, sie zu schützen! Bürger mit Ideen. Diese Gemeinde hat euch verdient, und ich bin stolz darauf.
Ich will euch ein Geheimnis verraten. Viele von euch wundern sich schon lange, warum ich so einen komischen Zwirbelbart trage – und manche meinen sicher, der gehöre besser ab. Das Problem ist: Ich kann mich einfach nicht trennen von ihm. Es ist eine Geistesverwandtschaft. Mit einer – vielleicht – auch ziemlich traurigen Figur. Mit einem, der gegen Windmühlen gekämpft hat. Aber wir alle kennen seine Geschichte. Und – Hand aufs Herz – ist das nicht auch unsere? Kämpfen wir nicht alle irgendwo – gegen Windmühlen? Immer wieder, und immer noch? Gegen Kräfte und Mächte, die uns erscheinen – als übermächtige Riesen? Und was ist? Haben wir sie nicht – diesmal – niedergerungen? Den Kraichgau gerettet – vor Ränkespielen und üblem Gestank! Wir können es wieder
tun – jederzeit. Das haben wir bewiesen. Das ist unser Erfolg. Leichen im Keller haben wir alle. Aber wir müssen sie nicht hier verbrennen. Lasst uns wieder Frieden schließen – miteinander.
„Jedem Kind ein Schwert“ habe ich mal gerufen. Vor 14 Jahren, auf einem Mittelaltermarkt zur Jahrtausendwende. Die Ritter dieses Marktes wollten mich zum Ritter schlagen dafür. Zu einem der ihren. Das durften sie nicht: Das Mittelalter war schon lange vorbei – und ich bin ja auch erst heute mittleren Alters. Aber seitdem rufen sie mich Ragnar. „Königlicher“ heißt das. Was zum Teufel soll „königlich“ sein an einem Workaholic in dreckigen Kleidern und mit einem Zwirbelbärtchen? Ich erklär’s mir so. Das galt gar nicht mir. Nur einer Haltung. „Jedem Kind ein Schwert“ – das war der Titel einer pädagogischen Betrachtung, einer Rede, die ich hielt. Was hab ich gemeint mit „Schwert“? Genau das, das ihr alle gezogen habt und geschwungen. Für Ehre, Glauben und Respekt. Das Schwert des Anstands. Es ist eine gefährliche Klinge. Wer sie zu führen wagt, riskiert aufgeschnittene Reifen, Neid des Nachbarn, und manchmal sogar Terror. Aber in Zeiten wie diesen – das habt ihr bewiesen – zählen alle. Auch Rittler mittleren Alters, und von „trauriger Gestalt“. Am Ende sind sie – die Helden der Geschichte. Wir haben gekämpft, wir waren verzweifelt, wir haben’s gewagt und sind drangeblieben – am Schluss haben wir gewonnen. Was haben wir
gewonnen? Einen Platz, ein Gewerbegebiet, einen Dorfstreit? Nein. Etwas viel Wesentlicheres. Das Gefühl nämlich, uns selber jeden Morgen im Spiegel – und danach einander – in die Augen schauen zu können: mit Stolz, Achtung und Respekt. Voreinander, füreinander, miteinander.
Dieser Lohn ist nicht aufzuwiegen mit Litern – von was auch immer. Die lassen sich nur trinken. Auf euer, auf unser aller Wohl!
Quelle: Michael Rau