Regisseur Wolf E. Rahlfs über seine Inszenierung von Waisen für die Badischen Landesbühne
(zg) Die Badische Landesbühne zeigt am 7. Dezember 2016 um 19.30 Uhr im Wilhelmi-Gymnasium in Sinsheim Dennis Kellys Waisen.
Wir sprachen mit Regisseur Wolf E. Rahlfs über seine Inszenierung.
Herr Rahlfs, Sie inszenieren an der Badischen Landesbühne Waisen, ein Stück des britischen Autors Dennis Kelly. Dort bricht über die scheinbar heile Welt einer Kleinfamilie etwas herein, mit dem niemand zu tun haben will: Das Paar, Helen und Danny, wird durch Helens Bruder Liam, der plötzlich im blutigen Hemd in der Wohnung steht, in eine Gewalttat verstrickt. Was interessiert Sie an diesem Stück?
Hut ab vor Dennis Kelly: Er hat ein topaktuelles Stück geschrieben, das Tiefgang, Spannung und – ich wage den Ausdruck – Unterhaltung meisterhaft verbindet. Der Knackpunkt für den Regisseur ist die Frage: „Was willst du mit diesem finsteren Stück erzählen?“ – Kelly selbst sagt dazu sinngemäß, er wüsste nicht, was er mit dem Stück eigentlich sagen wollte, er wüsste aber, dass er es unbedingt sagen wollte. Und Liam, Helens zwielichtiger Bruder, bringt das schwarze Loch im Zentrum des Plots auf den Punkt: „Es gibt tote Katzen auf der Welt!“ – Liam legt diese „tote Katze“ seiner Schwester Helen und ihrem Mann Danny ins schöne Wohnzimmer. Er sagt: „Schaut hin!“ – Und wir als Theatermacher legen diese „tote Katze“ nun auf die Bühne. Das tut weh, ist aber Bestandteil unserer Realität, und deshalb relevant.
Was können Sie zum Aufbau und zur Art und Weise, wie das Stück geschrieben ist, sagen?
Es handelt sich um ein klassisches well-made play. Handlungsaufbau, Sprache, Rhythmus … perfekt. Da solltest du als Regisseur nicht reinfunken. Meine Aufgabe besteht darin, alles Überflüssige aus dem Weg zu räumen, damit sich das Stück und die Darsteller selbst tragen. Hinzu kommt die zwingende Situation: Helen, Danny und Liam haben begrenzte Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, die immer falsch sein wird – unabhängig davon, welchen „Wert“ sie verteidigen: Loyalität in der Familie oder Solidarität mit der Gesellschaft. Es gibt kein „Dazwischen“. Das ist hart. Und tragisch.
Sie arbeiten gemeinsam im Team mit dem Ausstatter Tommi Brem und dem Musiker Paolo Greco. Wie sind Sie an diese Inszenierung herangegangen?
Am Anfang stellen wir uns zwei Fragen: „Worum geht es?“ und „Was ist das Bild?“ Davon leiten sich alle formalen Entscheidungen ab. Unser Ziel ist immer, ein ästhetisches Gesamterlebnis zu schaffen, in dem Spiel, Ausstattung und Musik gleichberechtigt zusammenfinden. Die Antwort auf die Frage „Worum geht es?“ ist: Angst. Das Stück thematisiert anhand des Mikrokosmos Familie den Widerspruch zwischen einer scheinbar zivilisierten Welt der Sicherheit und Fürsorge mit der Angst des Individuums, im allgemeinen Anerkennungs- und Liebesgerangel allein auf der Strecke zu bleiben. Liams Gewaltausbruch ist damit nicht „erklärt“, schon gar nicht legitimiert, aber seine Ursachen sind in diesem Spannungsfeld zu suchen. Auch Helen und Danny agieren aus einer Haltung der Angst. Damit schaffen die drei den Nährboden für die schlimmstmögliche Wendung der Ereignisse. Während „draußen“ der gefühlte Clash of Cultures tobt, verschanzt man sich in der vermeintlichen sicheren Gemütlichkeit eines „Drinnen“, das man im Zuge seiner Selbstverwirklichungskreuzzüge bis ins letzte Wohndetail durchgestylt hat. Liams „tote Katze“ mach die vielfältigen Berührungspunkte und Bruchlinien zwischen diesen beiden Welten sichtbar.
Nachdem Sie diesen Begriff „Angst“ gefunden haben, wie gehen Sie weiter vor?
Wir suchen für den konzeptionellen Schlüssel, in diesem Fall Angst, eine ästhetische Vorstellung. Bei Waisen ist dies ein „schwarzes Loch“. Wir haben daraus für die Bühne eine Art schwarzes „Wohn-Loch“ gemacht. Es vermittelt einerseits die Gemütlichkeit eines familiären Zuhauses, andererseits eben jene (diffuse) Angst vor einer nicht greifbaren, aber gefühlten Bedrohung. – Das Stück erzählt dabei keine exklusiv britische Lebenswelt, sondern eine europäische Mittelschicht-Realität. Kelly selbst hält eine genauere Beschreibung des Raumes übrigens auch für überflüssig, zumindest findet man diese nicht in den Regieanweisungen. Es zählt einzig das Dilemma, die emotionale Ausnahmesituation, die der Autor schonungslos, bisweilen zutiefst schwarzhumorig durchdekliniert.
Gibt es auch Musik?
Ja, klar. Uns interessiert, wie schon gesagt, die erzählerische Eigenständigkeit und Gleichberechtigung der Mittel. Allerdings wird Musik bei Waisen, im Gegensatz zu unseren früheren Inszenierungen, eher sparsam eingesetzt. Sie ist das einzige Element, das von außen auf die Ereignisse einwirkt. Und am Ende ist sie auch der einzige Funken Hoffnung in diesem Stück. Vielleicht streichen wir sie am Schluss aber auch. Wer weiß, was die „tote Katze“ alles auffrisst.
Mit: Kathrin Berg, Andreas Schulz, Maximilian Wex, Inszenierung: Wolf E. Rahlfs, Ausstattung: Tommi Brem, Musik: Paolo Greco
7.Dezember 2016, 19.30 Uhr, Sinsheim, Wilhelmi-Gymnasium
Kartenvorverkauf:
Bürgerbüro der Stadtverwaltung, 07261.404136, E-Mail: [email protected]
Bücherland Sinsheim, 07261.64288, E-Mail: [email protected]
Buchhandlung Doll, 07261.2322, E-Mail: [email protected]
Quelle: Martina Illinger