Buchpräsentation im Kurpfälzischen Museum Heidelberg
Standardwerk für alle Geschichtsinteressierten
Vortrag von Hermann Wiegand über den Wiederaufbau durch Karl Ludwig
(zg) Der Rahmen hätte nicht besser gewählt sein können: Kurz vor Ende der famosen Königskinder-Ausstellung im Kurpfälzischen Museum Heidelberg wurde in den historischen Räumen des Palais Morass der zwölfte Baustein zur Kreisgeschichte der Öffentlichkeit vorgestellt (Freitag, 14. Februar 2020). Die mit fast 400 Seiten und 80 Abbildungen eindrucksvolle Publikation „Die Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg 1618 – 1648“ arbeitet in 16 Aufsätzen renommierter Wissenschaftler das Geschehen vor, während und nach der bis zu den Weltkriegen größten Katastrophe für die Bevölkerung auf. Bei den zum Gedenkjahr 2018 veröffentlichten gewichtigen Fachpublikationen, die die europäische Dimension des Krieges beleuchteten, trifft das Buch mit dem regionalen und lokalen Schwerpunkt Kurpfalz auf großes Interesse. Der Besucherzuspruch zur Buchvorstellung jedenfalls sprengte jede Erwartung.
Bevor Prof. Hermann Wiegand in 45 Minuten 40 Jahre Geschichte in seinem Vortrag „Karl Ludwig und der Wiederaufbau der Kurpfalz nach dem Dreißigjährigen Krieg“ Revue passieren ließ und über die Anstrengungen des Kurfürsten, sein Land durch die Ansiedlung neuer Bewohner wirtschaftlich wieder aufzubauen, erinnerte Prof. Frieder Hepp, der Leiter des Kurpfälzischen Museums, an den Ursprung der Publikation: ein zweitägiges Kolloquium in Ladenburg im November 2018, das ebenfalls auf riesiges Interesse gestoßen war. Zur 400. Wiederkehr des Kriegsbeginns bzw. des Prager Fenstersturzes hatten das Kreisarchiv Rhein-Neckar-Kreis, der Mannheimer Altertumsverein von 1859 und der Heimatbund Ladenburg e. V. bewusst diesen regionalen Ansatz gewählt, denn die Kurpfalz war mit 75 % Bevölkerungsverlust das am schlimmsten Betroffene Territorium des Heiligen römischen Reiches. Aus den damaligen Vorträgen ist, in erstaunlich kurzer Zeit, wie Hepp hervorhob, ein Tagungsband entstanden, der wie kaum ein zweiter die Verheißung und die Abgründe des 17. Jahrhunderts in der lokalen Geschichte widerspiegelt. Ein „Standardwerk für alle Geschichtsinteressierten“ sei das Buch geworden, lobte er.
Kreisarchivar Dr. Jörg Kreutz, zusammen mit den beiden Vorsitzenden des Mannheimer Altertumsvereins Prof. Hermann Wiegand und Dr. Wilhelm Kreutz Herausgeber des lesenswerten Buches, wies darauf hin, dass es den aktuellen Forschungsstand darstellt, der „zudem einige neue Lesarten der regionalen Geschichte hervorbringt und Anstöße für weitere Forschungen gibt“. Gleichzeitig bot er einen kurzen Einblick, was den Leser erwartet, vom politischen und konfessionellen über die gesellschaftlichen, kunsthistorischen bis hin zum literarischen Aspekt des komplexen Kriegsgeschehens bis 1648 und dessen Folgen für die Region zwischen Rhein und Neckar.
Nach einem Geleitwort von Landrat Stefan Dallinger und dem Vorwort der Herausgeber bildet Hiram Kümper, Inhaber der Mannheimer Carl-Theodor-Professur für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, mit seinem Beitrag „Die Protestantische Union: ein Stiefkind der Forschungen zum Dreißigjährigen Krieg“ den Auftakt. Er benennt darin nicht nur die Desiderate des bisherigen Wissens, sondern zeigt für bisher nicht ausgewertete Quellen zur Geschichte der Protestantischen Union neue Forschungsperspektiven auf. Der Literaturwissenschaftler Michael Hanstein macht deutlich, dass die bislang fälschlicherweise als überstürzte Flucht aus Heidelberg betrachtete Abreise zweier bekannter Heidelberger Professoren, des Leiters der „Bibliotheca Palatina“ Janus Gruter und des Juristen Dionysius Gothofredus, in Wirklichkeit einem geplanten und geordneten Abschied aus der kurpfälzischen Metropole gleichkommt. Der Heidelberger Ordinarius für Neuere Deutsche Literatur der frühen Neuzeit Dirk Werle beschäftigt sich mit Janus Gruters „Bibliotheca exulum“. Er analysiert dieses 1624 erschienene Werk des Bibliothekars als Anthologie im Stil des großen Zeitgenossen Michel Montaigne, als eine Sammlung von gelehrten Texten, die sich gegen die Schrecken des Krieges richtet, zugleich aber auch als Trost in der Heimatlosigkeit und als Ersatz für die verlorene Bibliothek dient. Frieder Hepp schließlich präsentiert kenntnisreich die wechselvolle Geschichte „Heidelberg(s) im Dreißigjährigen Krieg“.
Dirk Hecht betrachtet die nur ansatzweise ausgewerteten archäologischen Quellen des gesamten Neckarmündungsgebiets und plädiert für eine noch stärkere Zusammenarbeit der Gesichtswissenschaften mit der Archäologie. Franz Maier liefert einen präzisen Überblick über die verschiedenen Perioden der bayerischen Verwaltung in der rechtsrheinischen Pfalz von 1621 bis 1649. Er unterstreicht, dass diese spätestens nach 1638 nur noch den Erfordernissen der bayrischen Armee diente und die Integration in den bayerischen Gesamtstaat sowie die Rekatholisierung der Bevölkerung keine Rolle mehr spielten. Peter Bilhöfer, ausgewiesener Biograph Friedrichs V., rekapituliert die letztlich erfolglosen Anstrengungen des 1632 verstorbenen Winterkönigs, die „Causa Palatina“ aus dem holländischen Exil zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Einen besonderen Aspekt bringt in diesen Kontext Andreas Kappelmayer mit seiner Darstellung „Die Pfalzfrage und die dynastische Verflechtung zwischen den Häusern Vasa und Pfalz“ ein. Denn mit Johann Casimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg, seit 1615 verheiratet mit der schwedischen Prinzessin Katharina Vasa, der älteren Halbschwester König Gustavs II. Adolf, spielte ein pfälzischer Akteur in Stockholm eine wichtige, bislang weniger beachtete Vermittlerrolle. Mit der Problematik der „Hexenverfolgungen im Dreißigjährigen Krieg“, die erst 1629 nach der förmlichen Zuweisung der Kurpfalz zum Herzogtum Bayern und der einsetzenden Rekatholisierung Hexenprozesse auflebten, befasst sich Walter Rummel.
Den umfangreichsten Beitrag mit vielen abgedruckten Flugblättern hat Armin Schlechter beigesteuert, der das Thema „Die Kurpfalz in der Bildpublizistik des Dreißigjährigen Kriegs“ abhandelt. Er liefert darin eine grundlegende Bestandsaufnahme der publizistisch-medialen Kontroversen der beiden verfeindeten Machtblöcke. Kennerhaft nimmt der emeritierte Heidelberger Germanist Wilhelm Kühlmann die zeitgenössische Literatur der Kurpfalz und die Verarbeitung des Kriegsgeschehens in den Blick. In den Mittelpunkt seiner Analyse rückt er dabei neben dem aus Schlesien stammenden Martin Opitz die beiden Kurpfälzer Julius Wilhelm Zincgref und Balthasar Venator, der 1637 in einem Brief auch über Fälle von Kannibalismus berichtet. Aus kunsthistorischer Sicht geht Hans-Jürgen Buderer in seinem Beitrag der Frage nach, welche propagandistische Wirkung von „Bildern vom Krieg“ ausgeht.
Harald Stockert erläutert die religiöse Vielfalt Mannheims, das in der Regierungszeit Karl Ludwigs zur neuen Heimat vieler Einwanderer wurde. Zeitgenossen verglichen die Stadt mit der Arche Noah, in der „jede Sorte von Stimmen und alle Arten von Tieren“ beisammen waren. Hermann Wiegand widmet sich intensiv der Zwischenphase zwischen dem Westfälischen Frieden und dem unheilvollen Pfälzischen Erbfolgekrieg, der die Kurpfalz erneut in Schutt und Asche legen sollte, und in einem weiteren Beitrag der letzten protestantischen Hochzeit im Pfälzer Kurhaus zwischen Kurprinz Karl und der dänischen Königstochter Wilhelmine Ernestine 1671. Den Abschluss bildet Wilhelm Kreutz, der in einer literaturgeschichtlichen „Tour d’horizon“ die vielschichtige Verarbeitung des Dreißigjährigen Kriegs in der deutschsprachigen Prosa des 19. und 20. Jahrhunderts bis hin zu „Tyll“ von Daniel Kehlmann zusammenfasst und interpretiert.
Info:
Das Buch „Die Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg 1618 – 1648“ kostet wohlfeile 29 Euro und ist über alle Buchhandlungen zu beziehen (ISBN: 978-3-932102-41-7). Man kann es auch direkt beim Kreisarchiv Rhein-Neckar-Kreis, telefonisch unter 06221 522-7740 oder per E-Mail an: [email protected] bestellen.
Quelle: Silke Hartmann