Das Auto & Technik Museum Sinsheim erinnert an den 50. Geburtstag des Mercedes-Benz 600
(zg) Neid und Missgunst waren in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts anscheinend noch nicht erfunden. Statt aufgeregter Proteste von Umweltschützern bestaunten die Besucher im September 1963 auf der IAA in Frankfurt andächtig und ehrfurchtsvoll den riesigen Mercedes-Benz 600, das neue Flaggschiff von Daimler-Benz. Der 600er war zwar mit 5,54 Metern Länge und 2 605 Kilogramm Leergewicht ein automobiler Dinosaurier, aber zugleich ein technisches Denkmal mit den modernsten damals verfügbaren Features. Das Auto & Technik Museum Sinsheim feiert gleich mit zwei 600ern den 50. Geburtstag dieses Meilensteins zeitgenössischer Ingenieurskunst.
„Wir wollten das beste Auto der Welt bauen“, umriss Konstruktionschef Friedrich van Winsen damals die Zielvorgabe des Stuttgarter Konzerns. Als Antriebsaggregat entschied er sich für einen Achtzylinder, obwohl schon damals auf dem Reißbrett ein Zwölfzylinder Gestalt angenommen hatte. Aus 6,3 Litern Hubraum holte der V 8 250 PS (184 kW) bei moderaten 4000/min und beschleunigte den Zweieinhalbtonner in 10,1 Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit hatten Tester eines deutschen Automagazins mit 209 km/h ermittelt, den Verbrauch mit 25,5 Litern Super auf 100 Kilometer.
Die Produktion des komplett in Handarbeit gefertigten Dickschiffs startete ein Jahr nach dem IAA-Debüt im Herbst 1964 und lief erst im Juni 1981 aus. Bis dahin waren in Sindelfingen 2 677 Einheiten gebaut worden, neben 2 190 normalen Limousinen auch 428 Pullman-Versionen mit 6,24 Metern Länge. 124 davon waren Sechstürer: Die mittleren Türen sollten Personenschützern rasches Ein- und Aussteigen ermöglichen. Auf dem langen Pullman-Chassis entstanden ferner 59 Landaulets, eine Art Cabrio-Zwitter, bei dem nur der Chauffeur unterm Blechdach saß.
Nicht wenige der Reichen und Schönen dieser Welt entschieden sich für den 600er als standesgemäßes Gefährt. Zur illustren Kundenschar zählten Herbert von Karajan und John Lennon ebenso wie Max Grundig, Ivan Rebroff oder Mireille Mathieu. 1964 wurde die Kurzversion für 56 500 Mark (28 880 €) und der Pullman für 63 500 Mark (32 467 €) verkauft, was aus heutiger Sicht wie ein Discount-Angebot anmutet. Damals allerdings bekam man für dieses Geld eine Eigentumswohnung oder auch ein kleines Häuschen. 1979 hatte sich der Preis mit 144 100 bzw. 165 500 Mark bereits mehr als verdoppelt.
Neben Größe, Gewicht und Leistung bot der 600er eine Reihe weiterer Superlative und innovativer Ausstattungsdetails, zum Beispiel ein Zweikreis-Servobremssystem mit vier Scheibenbremsen, Sperrdifferential, Luftfederung mit automatischer Niveauregulierung, während der Fahrt verstellbare Stoßdämpfer oder ein elektronisch geregeltes Heizungs- und Belüftungs-system. Der ganze Stolz der Daimler-Ingenieure war die sogenannte Komforthydraulik, die nicht nur Fensterheber, Sitzverstellung und zahlreiche Hilfsaggregate antrieb, sondern auch die Wagentüren dezent ins Schloss zog.
Die XXL-Abmessungen und der äußerst üppige Chromschmuck des 600ers fanden in Europa nicht den ungeteilten Beifall solventer Käufer. Den größten Verkaufserfolg hatte er in den USA, wohin etwa ein Drittel der gesamten Produktion exportiert wurde. Geld hat Daimler-Benz übrigens nie mit ihm verdient, aber der Imagegewinn war enorm. Gut erhaltene Exemplare erzielen heute deutlich mehr als sie damals neu gekostet haben: Ein 600er mit der Zustandsnote 2 wird auf rund 100 000 Euro taxiert.
Im Auto & Technik Museum Sinsheim sind zwei Exemplare des Mercedes-Benz 600 aus den Jahren 1964 und 1972 zu sehen.
Quelle: Auto & Technik Museum Sinsheim