Damals, vor knapp fünf Jahren, als Hoffenheim einen 4:1-Rückstand in Bremen hatte egalisieren können, gewann Werder zuletzt doch noch. Diesmal gelang das Unentschieden – in einer Partie, die vielleicht weniger begeisternd verlief als damals, aber bestimmt nicht weniger nervenaufreibend war. 2:0 stand es bis ganz kurz vor Schluss, ehe Schipplock zweimal ins Tor traf.
An Dramatik bot das Spiel ähnlich viel auf wie einst. Überhaupt verlaufen Begegnungen mit Bremen fast immer spektakulär, beide Vereine bevorzugen den offensiven Fußball. Im Prinzip, denn die TSG hat gerade erst wieder zurückgefunden zur ursprünglichen, mutigen Spielphilosophie, während der SV Werder diesmal, nach gnädiger Einfädelung durch einen Irrtum des Schiedsrichters, die frühe Führung ungewohnt defensiv über die Runden zu bringen versuchte.
Mir selber ging bei dieser offensichtlichen Fehlentscheidung nach wenigen Sekunden – einige Experten haben bei Abrahams Attacke außerhalb des Strafraums nicht mal ein Foul erkennen können – und dem folgenden Elfmeter durch den Kopf, dass ganz frühe Tore erfahrungsgemäß selten gut tun. Das beruhigte mich eine Weile lang. Als aber Werder dann noch den zweiten Treffer erzielt hatte und vor allem bis über die 80. Minute hinaus immer noch 2:0 führte, war es um meine Zuversicht geschehen. Anders unsere Mannschaft: Trainer Gisdol lobte anschließend die Unaufgeregtheit, mit der sie trotz des deutlichen Rückstands auf ihre Spielweise vertraut hatte und damit den Grundstein legte für den späten Erfolg.
Zuletzt geschah also doch, was immer wieder zu beobachten ist: Mannschaften, die in den ersten Spielminuten glücklich in Führung gehen, werden, je länger die Führung anhält, zunehmend sorglos. Sie halten das Ergebnis für verdient – und vergessen, dass ihnen immer noch vor allem das Glück zur Seite steht. Bis sich irgendwann eine leistungsgerechte Leichtfertigkeitslücke auftut, in die der Gegner hineinstoßen kann. So geschehen am Samstag in Bremen, als Hoffenheim das unmöglich Scheinende doch noch gelang und in einem furiosen Finale wenigstens ein Punkt entführt werden konnte, der noch sehr viel wert sein mag.
Für die nächsten beiden Spiele zuhause gegen Hamburg und in Dortmund wünsche ich mir, dass die TSG möglichst jeweils schon nach spätestens 20 Minuten mit mindestens drei Toren Unterschied führt, damit meine Nerven nicht noch einmal derart angespannt werden. Aber wenn es um so viel geht (auf den letzten Metern einer extrem schwierigen Saison, die ganz zum Schluss erst ins Positive dreht), gibt es natürlich nervenzerreißende Spannung im Übermaß gratis dazu. Also versuche ich lieber, so gut es geht, mich mit Demut und Geduld zu wappnen – und auf die Arbeit des Trainers unter der Woche zu vertrauen, der bisher so viel Gutes bewirkt hat.
Trotzdem wird das Kribbeln vor dem nächsten Spiel noch früher einsetzen als sonst. Eigentlich hat es jetzt schon begonnen. Und es gibt unter der Woche kein bisschen Ablenkung mehr durch die Champions- oder Euro-League; das Zweitligaspiel heute Abend ist zudem bedeutungslos, wie es auch kein Freitagsabend-Spiel geben wird, weil an den letzten beiden Spieltagen alle Partien zeitgleich am Samstagnachmittag stattfinden müssen. Es wird schwer, diese Woche zu überstehen, zumal klar ist, dass Hamburg alles daransetzen wird, noch auf die europäischen Ränge vorzurücken. Nein, es gibt wohl kein Entkommen vor der Anspannung der Nerven. Aber viel Hoffnung, wenn man das furiose Finale in Bremen zum Maßstab für die gesamte Saison nimmt. Erst lange Zeit wenig Anlass zur Zuversicht, dann aber im letzten Moment doch die glückliche Wende!
Quelle: TSG 1899 Hoffenheim von Alexander Hans Gusovius