Wirtschaftsverbände in Baden-Württemberg fordern Absicherung der Kreditversorgung des Mittelstands durch die Europäische Union
Eine Regulierung mit Augenmaß, mehr Verständnis für die Bedürfnisse von kleineren und mittelgroßen Unternehmen und die Sicherung der Kreditfinanzierung des Mittelstands – das sind die gemeinsamen, zentralen Forderungen des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT), des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK), des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands (BWGV) und des Sparkassenverbands Baden-Württemberg (SVBW).
Die vier großen Dachverbände der Wirtschaft in Baden-Württemberg haben sich zusammengetan, um sich zur Zukunft der Kreditversorgung des Mittelstands zu äußern. In einem Positionspapier unter der Überschrift „Mittelstand stärken – Kreditfinanzierung sichern – Finanzmarktregulierung anpassen“ wenden sie sich mit konkreten Forderungen an die politisch Verantwortlichen in Stuttgart, Berlin und Brüssel. Dabei geht es um die zukünftige Regulierung des Finanzmarkts, um die Sicherung der bankgestützten Kreditfinanzierung des Mittelstands und um die künftige Einlagensicherung.
„Wir haben uns zu dieser gemeinsamen Initiative entschlossen, da wir überzeugt sind, dass insbesondere in Brüssel das deutsche Erfolgsmodell der kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die auf langlaufende Bankkredite ihrer Hausbanken setzen können, zu wenig berücksichtigt wird“, so die vier Präsidenten Rainer Reichhold (BWHT), Dr. Peter Kulitz (BWIHK), Dr. Roman Glaser (BWGV) und Peter Schneider (SVBW) bei der Präsentation des Papiers in den Räumen des Baden-Württembergischen Handwerkstags in Stuttgart. „Mit dem Positionspapier wollen wir insbesondere die Politik und die EU-Kommission dazu auffordern, die nationalen, sehr erfolgreichen Unterschiede nicht mit dem Rasenmäher wegzumähen. Das ist auch eine der zentralen Lehren aus der Brexit-Entscheidung in Großbritannien.“
BWHT und BWIHK repräsentieren rund 780.000 Unternehmen in Baden-Württemberg. Die 205 Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die 52 Sparkassen haben als Hauptfinanzierer des Mittelstands einen Marktanteil von rund 80 Prozent. „Wir garantieren die Kreditversorgung der kleinen und mittelgroßen Unternehmen bei uns im Land“, so die beiden Präsidenten Glaser und Schneider.
Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold betont die Bedeutung der Kreditfinanzierung für das Handwerk in Baden-Württemberg: „Ein breites Angebot an Finanzdienstleistungen ist der Idealfall, aber es muss sich am Bedarf orientieren.“ Für einen durchschnittlichen Handwerksbetrieb komme eine Kapitalmarktfinanzierung in aller Regel nicht in Frage.
Reichhold: „Unsere Betriebe brauchen starke regionale Banken, die sich in den Gegebenheiten eines regional verwurzelten Handwerks auskennen. Sie brauchen Firmenkundenbetreuer, die ihre Sprache sprechen.“ Seit jeher sei die klassische Finanzierung über Bankkredite die wichtigste Finanzierungsquelle für kleine und mittlere Betriebe. Sie dürfe deshalb im Rahmen der Kapitalmarktunion nicht geschwächt, sondern müsse im Gegenteil gestärkt werden.
Ähnlich sieht es auch BWIHK-Präsident Dr. Peter Kulitz. Er betont, wie wichtig es sei, diese in Europa besondere Form der Finanzierung des Mittelstands zu sichern: „Kleine und mittlere Unternehmen bilden 99% der im Land ansässigen Betriebe – für diese sind klassische Unternehmerkredite die bei weitem wichtigste Finanzierungsform. Lokale Bankinstitute, seien es Sparkassen, Genossenschafts-banken oder Privatbanken, sind eng mit den Betrieben verbunden, zum Teil bestehen seit Jahrzehnten vertrauensvolle Vertragsbeziehungen. Dieses Erfolgs-modell hat es dem Land ermöglicht, die Folgen der Finanzmarktkrise schnell zu überwinden. Ein so gut funktionierendes System darf nicht beeinträchtigt werden.“ Die Regulierung des Kreditrechts soll daher auf die tatsächlichen Risikofaktoren konzentriert werden und nicht pauschal alle Kredite einschränken.
Beim wichtigen Thema Bankenregulierung spricht sich Dr. Roman Glaser, Präsident des Baden-Württembergischen Genossenschaftsverbands, für die Rückkehr zu einer Politik mit mehr Augenmaß aus. Gerade die verlässlichen kleinen und mittleren Institute dürften nicht durch übertriebene bürokratische Belastungen in Schwierigkeiten gebracht werden. „Wir nehmen erfreut zur Kenntnis, dass bei einigen politischen Entscheidungsträgern das Bewusstsein für Defizite bei der europäischen Regulierung gewachsen ist“, sagt Glaser mit Blick auf eine Initiative im Europäischen Parlament, die im September gestartet ist, um die bisherige Regulatorik kritisch zu bewerten und die Möglichkeiten für eine bessere Differenzierung und tatsächliche Proportionalität zu etablieren.
„Diese Initiative greift einen Gedanken auf, den wir sehr unterstützen. Es muss eine klare Differenzierung in der Regulatorik erfolgen“, betont Glaser und unterstützt damit auch die „Small Banking Box“-Initiative von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Denn gerade kleine und mittlere Institute, wie es die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen in Deutschland sind, würden durch die derzeitigen administrativen Aufgaben wie Dokumentationspflichten, Anlegerschutzvorgaben sowie das Melde- und Beauftragtenwesen weit über Gebühr belastet.
Zum Schluss des Positionspapiers fordern die vier Verbände auch die nationale Eigenständigkeit der Einlagensicherung. „Wir lehnen gemeinsam die Pläne der EU-Kommission zur Schaffung eines vergemeinschafteten Systems der Einlagensicherung in Europa ab“, so Sparkassenpräsident Peter Schneider. „Sparkassen und Genossenschaftsbanken bieten mit ihrer Institutssicherung den besten Schutz innerhalb der gesamten EU. Da ist es weder im Interesse der Unternehmen, noch der Privatkunden, die bisher zurückgelegten Mittel für die Absicherung der Spargelder in einen großen europäischen Topf zu werfen. Ohne die hohe Sicherheit der Ersparnisse wäre die Stabilität der Wirtschafts- und Finanzierungskreisläufe gefährdet.“