DMG-Krankenschwester Susanne Fassl schreibt aus Port Salut:
(zg) Die Patientenzahlen der Kinderklinik „Timoun nou yo“ (Kein Raum für Armut / Port Salut), in der ich mitarbeite, steigen. Wir behandeln täglich 80 Kinder und mehr mit Typhus, Lungenentzündung, Hautinfektionen und Durchfall. Mit Babynahrung und Erdnussbutterpaste haben wir uns richtig eingedeckt, denn der Bedarf ist groß. Noch immer gibt es in vielen Gebieten kaum Nahrung und Trinkwasser, was Menschen in die Verzweiflung treibt und auch für uns eine Herausforderung darstellt.
Mit zwei Ärztinnen aus den USA fuhr ich zweieinhalb Stunden an der Südwestküste entlang, bis nach Tibouron, um Kinder aus unserem Unterernährtenprogramm zu besuchen und das Ausmaß der Zerstörung zu evaluieren. Wir waren geschockt von der massiven Verwüstung – viele Straßen sind durch Erdrutsche noch immer kaum passierbar. Auf den Märkten am Straßenrand gab es kaum noch Essbares, Menschen hungern. Mit dem Militär brachten wir Lebensmittel, Abdeckplanen und Medikamente in diese Gegend.
Einer Familie, die unter erbärmlichen Umständen mit ihren Tieren am Boden hauste, schenkten wir unsere letzte Plastikabdeckplane. Die Mutter dreier Kindern führte einen Freudentanz auf. Es waren bewegende Eindrücke an diesem Tag. Besonders die strahlenden Augen ausgehungerter Kinder, denen wir Müsliriegel verteilten. Im Nu sammelten sich Mütter mit kranken Kindern um uns, die wir behandelten.
Zwei medizinische Helfer setzten wir in der Klinik von Les Anglais ab. Die haitianische Krankenschwester hat vielleicht gestrahlt, als sie die Medikamente und das Verbandsmaterial sah, die wir ihnen aus Port Salut mitgebracht hatten. Sie hatten kaum noch Material zur Versorgung der Patienten.
Im Moment regle ich viele organisatorische Dinge, denn in unserer Klinik in Port Salut kämpfen wir immer noch mit Strom- und Wassermangel. Inzwischen steht der neue Tank auf dem Dach, den alten hatte der Hurrikan heruntergerissen. Die Kinderklinik hat massive Wasserschäden erlitten, Teile des Dachs sind abgedeckt und die Mauer außenrum fehlt nahezu komplett – ein Sicherheitsproblem, wir mussten die Zahl der Sicherheitskräfte erhöhen. Alle 42 Mitarbeiter sind drei Tage nach dem Sturm zur Stelle gewesen und haben mit angepackt, damit die Klinik am 10. Oktober wieder öffnen konnte. Viele kleinen Patienten brauchen uns, und wir wollten schnell für sie da sein, obwohl die Hälfte der Mitarbeiter selbst Haus und Dach verloren hatten.
Wir haben alle Hände voll zu tun, aber wir sind dankbar, was wir bis zum heutigen Tag mit Gottes Hilfe bewältigen durften, in Zusammenarbeit mit unseren haitianischen Freunden sowie der großartigen Unterstützung aus Deutschland und den USA. Bitte betet weiter für Haiti und die Helfer hier …
Irreales Miteinander von Chaos und Normalität
Die theologischen Lehrer Volker und Anette Schnüll (DMG) berichten aus Les Cayes:
Mittlerweile erleben wir ein ganz irreales Miteinander von Krise und Normalität. Wir haben keinen Strom, aber einen kleinen Generator. Es ist schon Routine, ihn zu bestimmten Zeiten am Tag laufen zu lassen – lange genug, dass das Eisfach zumindest als Kühlschrank funktioniert. Viele Haitianer leben unter halben Dächern oder bei Familie und Freunden und haben nicht die Mittel, ihr Haus auch nur irgendwie zu flicken. Hilfstransporte brauchen Polizeischutz, weil sie sonst geplündert werden.
Die Landschaft sieht apokalyptisch aus. Überall entwurzelte und abgebrochene Bäume, und selbst die noch stehen, haben keine Blätter mehr, als wären sie abgestorben. Allenorts qualmen Müllfeuer und Kohlemeiler. Auf der anderen Seite fließt der Verkehr wie eh und je. Banken und Geschäfte in der Stadt sind wieder geöffnet. An der Straße nach Les Cayes steht wieder der junge Mann mit dem Hochdruckreiniger und wäscht Mopeds. Wer hat dafür Geld im Moment? Vor drei Tagen hat die Schule unserer Kinder wieder eröffnet, seit Dienstag unterrichtet auch unsere theologische Ausbildungsstätte wieder.
Die Fortschritte der ersten Tage nach dem Hurrikan waren rasant. Innerhalb eines Tages hatten Kollegen mit Motorsägen und Traktor die wichtigsten Wege auf unserem Gelände und im angrenzenden Dorf freigemacht. Nur mit Macheten, aber mit deutlich mehr Händen haben haitianische Nachbarn Wege passierbar geschlagen und Grundstücke geräumt. Nach drei Tagen hatten wir wieder Trinkwasser in der Leitung – genau zum richtigen Zeitpunkt, denn das grünliche Gemisch aus Regenwasser und feinsten Pflanzenteilchen (und besser nicht nachdenken, was noch alles) stank mittlerweile nach Gülle und taugte nicht mehr zum Duschen.
Der Lobpreis am Sonntag nach dem Sturm war einer der bewegendsten, den ich (Volker) je erlebt habe. Es war kein Klagegottesdienst, sondern ein einziger Dank aus 500 Kehlen, dass wir noch leben. Auch die Opferbereitschaft und Liebe, mit der die haitianischen Christen helfen, ist uns ein Vorbild.
Weiter westlich von uns muss es grausam anders sein. Pastor Alnève, der Leiter unseres Baptistenbunds, las uns eine SMS aus einem Dorf vor, das noch komplett abgeschnitten ist: kein Essen, ein Kind verletzt, keine medizinische Hilfe, Cholera macht sich breit. Es kommen Hilfskräfte ins Land und arbeiten sich in Konvois Richtung Westen vor, doch für manche Menschen kommt jede Hilfe zu spät.
Pastoren verschiedenster Gemeinden beraten ihr gemeinsames Vorgehen, wir selbst investieren uns hauptsächlich in den langfristigen Wiederaufbau. In Laval (Foto oben) beispielsweise soll diesen Sonntag wieder Gottesdienst gefeiert werden. Dazu ist allerdings am Samstag ein Arbeitseinsatz nötig, denn die Kirche hat ihr Dach verloren. Es wird zunächst geflickt, dann sehen und beten wir weiter. Habt vielen Dank für alle ermutigenden Worte, Gebete und Nachfragen. Gott segne Euch, euer Volker Schnüll
Spendenkonto der DMG:
IBAN: DE02 6729 2200 0000 2692 04
BIC: GENODE61WIE
Stichwort P50406, Nothilfe Haiti Hurrikan
Quelle: Theo Volland