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Handwerk in Baden-Württemberg: Zuversicht trotz Krise

15. Juli 2020 | Das Neueste, Gewerbe

(zg) In einem Pressegespräch des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT) nahmen Präsident Rainer Reichhold und Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel die Folgen der Corona-Krise in den Blick. Trotz teilweise massiver Einbrüche kehre langsam die Zuversicht zurück. Allerdings müsse der Wiederaufbau vonseiten der Politik gezielt unterstützt werden.

„Die Stimmung im baden-württembergischen Handwerk ist abgerutscht, nur noch 43 Prozent der Betriebe beurteilen die Lage als gut, jeder dritte empfindet sie als schlecht“, so der vergangene Woche als Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstags (BWHT) wiedergewählte Rainer Reichhold zur Situation der Branche im 2. Quartal 2020. Vor Jahresfrist bewerteten noch drei von vier Betrieben die Lage als gut, schlecht stellte sie sich nur für vier Prozent der Befragten dar. Auch die Fakten passen zum trüben Stimmungsbild: Die Auftragseingänge und Umsätze sind bei rund jedem zweiten Betrieb gesunken und jeder vierte Betrieb ist nur maximal zur Hälfte ausgelastet.

Allerdings gebe es große Unterschiede zwischen den Handwerksgruppen: „Im Bauhaupt- und im Ausbaugewerbe bewertet eine überwiegende Mehrheit ihre Lage noch als gut. Im Handwerk für den gewerblichen Bedarf, im Kfz-Gewerbe und im Nahrungsmittelhandwerk sieht es schon deutlich schlechter aus – hier sanken bei jedem zweiten Betrieb die Auftragszahlen und drei von fünf Betrieben beklagen gesunkene Umsätze. Und bei den persönlichen Dienstleistern sowie im Gesundheitsgewerbe ist die Situation mit Umsatzrückgängen bei 70 beziehungsweise 84 Prozent der Betriebe gar dramatisch“, bilanziert Reichhold. Allerdings kehre mit Blick auf das laufende 3. Quartal etwas Zuversicht zurück: Etwa ein Drittel der Betriebe erwarte eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage sowie Steigerungen bei Aufträgen und Umsätzen.

Auch in Sachen Ausbildung sind die Zahlen derzeit ausbaufähig. „Bis Ende Juni konnten wir 8.100 neue Ausbildungsverträge abschließen, dies bedeutet im Vorjahresvergleich ein landesweites Minus von 13 Prozent. Auch hier kam die Bauwirtschaft mit minus sechs Prozent am glimpflichsten davon. Massiv hingegen fallen die Einbrüche bei all den Gewerken aus, die stark unter den Pandemiefolgen leiden: In den Nahrungsmittel- sowie Gesundheits- und Körperpflegeberufen konnten wir 23 Prozent junge Menschen weniger rekrutieren als zum Vorjahreszeitpunkt“, so Reichhold. Der BWHT-Präsident betont jedoch, dass es sich dabei um eine Momentaufnahme handle, Hoffnung mache ihm die Tatsache, dass Ausbildungsverträge im Handwerk in der Regel recht spät geschlossen werden. Mit Blick auf den Fachkräftemangel sei es daher wichtig, die Krise auch als Chance zu begreifen, junge Leute fürs Handwerk zu gewinnen.

„Entscheidend ist es, Betriebe und Schüler zusammenzubringen – analog wie digital. Dazu muss die berufliche Orientierung dringend wieder stattfinden und ausgebaut werden. Wir brauchen mehr digitale

Kanäle, auch für mögliche Verschärfungen bei einer zweiten Welle. Und: die duale Ausbildung muss als attraktive Karrieremöglichkeit in den allgemeinbildenden Schulen vermittelt werden.“  Auch für eine Zeit nach Corona müssten regionale Passungsprobleme endlich angegangen werden, damit Azubis und Betriebe auch räumlich zusammenfinden. „Dazu gehören ein verbundübergreifendes Azubi-Ticket und bezahlbare Angebote für Azubi-Wohnmöglichkeiten – gerade auch in Ballungsräumen“, so Reichhold in Richtung Politik.

Dankbar zeigt sich das baden-württembergische Handwerk für die Vielzahl an Hilfen, die von der Politik in den vergangenen Monaten auf den Weg gebracht wurden: „Das Konjunkturpaket des Bundes hat unseren Betrieben in diesen schwierigen Zeiten sehr geholfen, genauso wie die Soforthilfe, das Krisenberatungsprogramm und die Aufstockung der Überbrückungsmaßnahmen durch das Land“, so BWHT-Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel. Auch die Absenkung der Mehrwertsteuersätze als branchenübergreifenden Ansatz sehe das Handwerk grundsätzlich positiv. „Allerdings wirkt sich die Maßnahme in den verschiedenen Gewerken unterschiedlich aus. Während im Bau- und Ausbaugewerbe sowie bei den Autohändlern die Kunden auf eine Fertigstellung oder Lieferung noch in diesem Jahr drängen, bemerken Betriebe mit gewerblichen Kunden oder auch Bäcker gar nichts – es gibt noch nicht einmal Nachfragen“, berichtet Vogel. Außerdem sei es schwierig und bürokratisch, die Senkung rechtssicher umzusetzen. „Damit sich dies alles lohnt und es im Falle von Lieferschwierigkeiten oder verspäteten Fertigstellungen nicht zu Enttäuschungen kommt, sollte die zu kurze Geltungsdauer der Maßnahme bis ins nächste Jahr hinein verlängert werden“.

Die Corona-Krise habe auch strukturelle Defizite offengelegt, zum Beispiel bei der öffentlichen Verwaltung. „Kommunale Behörden müssen wieder auf Normalbetrieb hochfahren“, fordert BWHT-Präsident Reichhold. Es sei nicht akzeptabel, dass manche Baubehörde wochenlang abtauche und es in dieser Zeit weder zu Abnahmen noch zu Ausschreibungen käme – schließlich setze das Handwerk nicht nur auf private, sondern auch auf öffentliche Aufträge. Dieses Geschäft fehle den Betrieben jetzt, wo die Wirtschaft wieder anlaufe. „Deshalb muss jetzt Vollgas bei der Digitalisierung der Verwaltung gegeben werden“, so Reichholds klare Ansage. Außerdem sei es jetzt, nach dem das Handwerk seine Systemrelevanz und Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt habe, an der Zeit, den von vielen Seiten gezollten Respekt in eine gezielte Förderung umzusetzen.

Sorge bereite dem Handwerk aber vor allem die Welle an Zusatzbelastungen, die im Herbst zu erwarten sei. Es brauche eine Lösung für die Tilgung der gestundeten Steuern und Beiträge während des Lockdowns. Viele Betriebe seien noch nicht in der Lage, alle aufgelaufenen Forderungen zum Fälligkeitszeitpunkt vollständig zu erfüllen, warnt Reichhold: „Die zarte Zuversicht auf wirtschaftliche Erholung dürfen wir nicht zunichtemachen, sonst droht im Herbst eine verzögerte zweite Krisenwelle, die gar zu Insolvenzen führen kann.“ Wichtig sei in diesem Zusammenhang beispielsweise die schnelle Umsetzung der EU-Richtlinie über „präventive Restrukturierungsmaßnahmen“. Durch sie sollen außergerichtlichen Sanierungen ermöglicht werden, damit betroffene Unternehmen nicht vorschnell als „Pleitekandidaten“ stigmatisiert werden. Das Land könne hier durch eine Bundesratsinitiative Tempo machen, so Reichhold.  Außerdem müssten die Eigenkapitalanforderungen für Kredite an den Mittelstand nicht verschärft, sondern eher gelockert werden.

Quelle: Marion Buchheit

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