Wachstumsbremse Bürokratiebelastung
(zg) Das Handwerk befindet sich nach wie vor im Konjunkturhoch. „Der Binnenmarkt brummt, die Stimmung in den Branchen ist entsprechend gut“, teilte Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle heute (29.04.) in der Jahrespressekonferenz des Baden-Württembergischen Handwerkstages (BWHT) mit. Allerdings gebe es Unsicherheitsfaktoren wie die Fachkräftesicherung, die EZB-Niedrigzinspolitik oder die Diskussion um die Erbschaftssteuer. Als zentrales Zukunftsthema bezeichnete er die Digitalisierung und forderte die Landesregierung auf, das Handwerk stärker in den Blick zu nehmen: „Digitales Knowhow braucht Anschub.“
Durch die Bank lagen im vergangenen Jahr die Werte im Land über denen des Handwerks im Bund. Und auch für 2015 rechnet Möhrle nicht damit, dass der Handwerkskonjunktur in den nächsten Monaten die Luft ausgehen wird. Für das Gesamtjahr erwartet der Handwerkstag ein Plus von nominal 1,5 Prozent. Die rund 133.000 Handwerksbetriebe im Land beschäftigen etwa 766.000 Mitarbeiter und bilden 48.000 junge Menschen aus. Sie erwirtschaften einen Umsatz von 88 Milliarden Euro. „Das kann sich sehen lassen“, zeigte sich Möhrle zufrieden. Das Umsatzplus von 2,6 Prozent im vergangenen Jahr werde sich 2015 nicht ganz wiederholen lassen. Aber die harten Indikatoren, gepaart mit einer großen Zuversicht der Betriebe, bestätigten: „Die Geschäftsaktivitäten des Handwerks stehen auf einem soliden Fundament.“ Beflügelt werde dies vor allem von der guten Konsumlaune und anhaltend hohen Investitionen in Immobilien. Die Beschäftigung werde stabil bleiben. Dass die Handwerker ein gutes Jahr erwarten, lasse sich auch an der Investitionsneigung ablesen: Rund 54 Prozent der Betriebsinhaber haben im ersten Quartal ihre Gebäude, Maschinen oder Fahrzeuge erneuert.
Zum Ende 2014 beschäftigten die Betriebe im Südwesten etwa 5.500 oder 0,7 Prozent mehr Mitarbeiter als noch im Jahr zuvor, während es im Bund keinen Zuwachs gab. Auch der Umsatz ist mit einem Plus von 2,6 Prozent stärker gewachsen als im Bundesdurchschnitt (+2,4 %). Zu dem erfreulichen Ergebnis beigetragen habe außerdem, so Möhrle, dass sich das Zahlungsverhalten der Kunden und die Eigenkapitalausstattung der Betriebe verbessert haben. Rund 90 Prozent der Privatkunden bezahlen innerhalb von 30 Tagen. Bei den öffentlichen Kunden sind es immerhin drei von vier.
Sorgenkind Nachwuchs im Handwerk: Kleiner Lichtblick
Einen kleinen Lichtblick gab es beim Sorgenkind Nachwuchs: Im letzten Jahr wurden 19.311 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen, was nach vier Jahren rückläufiger Ausbildungszahlen erstmals wieder ein leichtes Plus von 0,4 Prozent bedeutet. Dies zeige, freute sich Möhrle, dass das vielfältige Bemühen der Betriebe und der Handwerksorganisationen um qualifizierte Bewerber Früchte trage. Erstmals waren mehr als zehn Prozent der neuen Auszubildenden Abiturienten. 39 Prozent aller Azubis brachten einen mittleren Bildungsabschluss mit (Vorjahr: 36,5 %). Gut die Hälfte der weiblichen Auszubildenden entschied sich für eine Lehre in den drei beliebtesten Berufen Friseurin, Bäckerei-Fachverkäuferin oder Kauffrau für Büromanagement. Bei den jungen Männern halten sich hartnäckig der Kraftfahrzeugmechatroniker und der Elektroniker für Energie- und Gebäudemanagement an der Spitze der Beliebtheitsskala. Die Ausbildung insgesamt bleibt eine Domäne des zulassungspflichtigen Handwerks: Nur sechs Prozent der Ausbildungsbetriebe gehören dem zulassungsfreien Handwerk an.
Unsicherheitsfaktoren: Niedrigzinspolitik, Erbschaftssteuer
Auch wenn es den Betrieben im Großen und Ganzen blendend gehe, könne davon kein Automatismus abgeleitet werden, gab Möhrle zu bedenken. Er verwies auf eine ganze Reihe von Unsicherheitsfaktoren. Dazu zählten zum Beispiel die schwierige Lage in Süd- und Westeuropa und die Sanktionen gegen Russland, die bundesweit die Wirtschaft zunehmend verunsichert haben, die Niedrigzinspolitik der EZB, aber auch die wenig mittelstandsfreundliche Diskussion um die Erbschaftssteuer. Der Handwerkstag fordert eine praxisgerechte Ausgestaltung an der Mitarbeiterzahl: „Wir schlagen vor, Betriebe mit zwölf bis 15 Mitarbeitern zu verschonen.“ Bisher lag die Grenze, bis zu der stets steuerfrei übertragen werden konnte, bei 20 Arbeitnehmern.
Bürokratiebelastung als Wachstumsbremse
Zu den zentralen Wachstumshemmnissen für kleine und mittlere Betriebe, monierte Möhrle, zähle eine mehr denn je überbordende Bürokratie: „Ob bei der Umsatzsteuervoranmeldung, der Arbeitsstättenverordnung oder den neuen Gesetzen zur Entgeltgleichheit, Bund und Land schenken sich da leider nicht viel.“ Aktuellstes Beispiel sei das Thema Mindestlohn. Hauptärgernis für das Handwerk sei die Haftung des Generalunternehmers für die Subunternehmer, dass tatsächlich gesetzlicher Mindestlohn gezahlt wird. Viele Handwerksbetriebe seien damit vollkommen überfordert.
Die Bundesregierung selbst habe in ihrem Jahresbericht im Ergebnis einen drastischen Bürokratiezuwachs konstatiert. Allein die Wirtschaft habe demnach mehr als zehn Milliarden Euro an zusätzlichen Bürokratielasten durch gestiegenen Erfüllungsaufwand zu tragen. Möhrle: „Das ist geradezu absurd, denn am 1. Juli tritt das Bürokratieentlastungsgesetz des Bundes in Kraft.“ Auch für Baden-Württemberg sei dieses Thema kein Ruhmesblatt. So war im grün-roten Koalitionsvertrag ein Landesnormenkontrollrat – parallel zum seit langem bestehenden nationalen Normenkontrollrat – angedacht, ebenso die Einführung des Standard-Kostenmodells sowie ein Dialog mit Kammern und Verbänden. Aber passiert sei schlicht nichts. Möhrle: „Wir fordern deshalb die Landesregierung nachdrücklich dazu auf, vorhandene Instrumente wie den KMU-Check und den KMU-Alarm wieder zu aktivieren, anstatt sie in den Schubladen verstauben zu lassen.“
Digitales Knowhow braucht Anschub
Auch für das Handwerk spielt die Digitalisierung der Wertschöpfung eine immer wichtigere Rolle und ist wesentlicher Teil der Zukunftssicherung, darauf wies BWHT-Hauptgeschäftsführer Oskar Vogel hin. „Ganz alltägliche Geschäftsprozesse, Fertigung und die Geschäftsmodelle sind drei Bereiche, die vor allem betroffen sind.“ Aber noch klaffe zwischen fachlichem und digitalem Know-how eine große Lücke. In einer BWHT-Umfrage meldeten rund zwei Drittel der Betriebe Unterstützungsbedarf an. Dabei falle es vielen schon schwer, neben der täglichen Arbeitsbelastung ihr Personal- oder Aufgabenmanagement zu digitalisieren.
Die Politik müsse das Handwerk mit seinen kleinen und mittleren Betrieben, die eben keine eigene IT-Abteilung haben wie große Industriebetriebe, stärker in den Blick nehmen, verlangte Vogel. Grundvoraussetzung sei eine flächendeckende schnelle und starke Breitbandversorgung. Darüber hinaus fordert das Handwerk ein 4-moduliges Gesamtpaket aus Sensibilisierung und Information, aus Schulung, konkreter Beratung und aus Praxisdemonstration. Der Nachtragshaushalt des Landes sehe erfreulicherweise Mittel für Digitalisierungsprojekte aus Branchen jenseits der Industrie vor. Vogel: „Wir haben unsere Agenda 4.0 dem Finanz- und Wirtschaftsministerium vorgelegt und wir fordern eine ausreichende Berücksichtigung aller vier Punkte.“
Quelle: Eva Hauser