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Lars Castellucci – Berliner Zeilen

22. Dezember 2016 | Das Neueste, SPD

Lars Castellucci(zg) Unser Mann im Bundestag

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

meine letzte Rede im Deutschen Bundestag in diesem Jahr habe ich zu den Abschiebungen nach Afghanistan gehalten: http://dbtg.tv/fvid/7046501. Kein sehr weihnachtliches Thema und auch kein sehr weihnachtlicher Einstieg in diese letzten Berliner Zeilen des Jahres. Aber vielleicht auch ein Symbol für unsere Zeit. Vieles ist vertrackt, manches regelrecht verhakt. Man denke nur an das Elend in Syrien und das Scheitern der internationalen Gemeinschaft.

Einfache Antworten bieten meist keine Lösung und finden dennoch Anhänger, denn alles ist schon kompliziert genug und für komplexe Antworten hat man keinen Kopf. Umso wichtiger ist es, eine klare Haltung einzunehmen. Das wird auch für die vor uns liegenden Wahlen im nächsten Jahr gelten. Wer hat schon gleich immer Antworten auf alle Fragen und Einzelschicksale, die an Ständen und Haustüren an uns herangetragen werden. Antworten müssen wir geben, aber zuallererst ist es wichtig, dass die Menschen spüren, wofür wir stehen, was uns wichtig ist, so wichtig, dass wir dafür auch in einen Konflikt gehen, wenn andere das Gegenteil wollen.

Ich versuche, so einen klaren Kompass für mich selbst zu haben, und gleichzeitig Orientierung zu vermitteln, indem ich auch über diesen Kompass rede. In allem Trubel um uns herum ist mir als allererstes wichtig, dass wir unsere Menschlichkeit nicht verlieren. Menschlich ist für mich, an sich selbst zu denken und für sich selbst und die seinen zu sorgen, aber nicht nur. In die SPD bin ich eingetreten, weil ich für diejenigen etwas tun wollte, die sich selbst nicht oder nicht ausreichend helfen können. Die also der Mit-Menschlichkeit bedürfen. Mit-Menschlichkeit gehört auch zum Menschen. Und ich mache dabei grundsätzlich keine Unterschiede nach Nationalität, Geschlecht, was immer. Ich schaue, was gebraucht wird. Dieses Verständnis von Gerechtigkeit als „Bedürfnis-Gerechtigkeit“ kommt der christlichen Nächstenliebe am nächsten. Kurz vor Weihnachten darf ich so etwas hier sicher einmal schreiben.

Abschiebungen nach Afghanistan haben zumindest die Gefahr in sich, unmenschlich zu enden, denn wer wollte tatsächlich für die Sicherheit dort garantieren? Ich kann es nicht und hätte eine Sammelabschiebung deshalb auch nicht veranlasst. Gleichzeitig ist für unser Zusammenleben wichtig, dass es ge-recht zugeht. Ich schreibe das absichtlich mit Bindestrich, denn das Recht ist fundamental für Gerechtigkeit. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Recht einfach nicht angewendet wird. Und unser Recht sieht vor, dass Abschiebungen stattfinden, wenn jemand in Deutschland kein Bleiberecht hat und seine Unversehrtheit im Herkunftsland angenommen werden kann. Und das ist der Punkt, wo es kompliziert wird und die einfache Lösung „Abschiebungsstopp“ auch nicht ausreicht.

Die beiden Punkte: Gibt es ein Recht auf Asyl und wenn nein, gibt es Abschiebungshindernisse? werden von den zuständigen Behörden geprüft. Dass dies qualitativ einwandfrei laufen muss, ist leider nicht gewährleistet, sonst hätte es Eilentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am Mittwoch gar nicht bedurft. Der Retter in letzter Sekunde ist im Krimi in Ordnung, einen Rechtsstaat stelle ich mir anders vor. Wenn wir an irgendetwas hart arbeiten müssen, dann in erster Linie an der Qualität unserer Verfahren.

Und natürlich stimmt es, dass wir die Probleme auch nicht alle bei uns lösen können. Es braucht also eine enge Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, die auch dazu führen muss, dass Geflüchtete innerhalb ihrer Heimatländer oder angrenzend Schutz und Lebensperspektiven finden. Mein Ziel wäre, dass wir unsere Hilfe dann immer stärker auf besonders Schutzbedürftige konzentrieren können, so wie das auch in meinem Eintrittsmotiv in die SPD anklingt. Die Elendsten der Welt schaffen es heute ja gar nicht nach Europa.

Liebe Genossinnen und Genossen,

liebe Freundinnen und Freunde,

meinen Optimismus behalte ich. Es ist kein Optimismus des „Wird schon werden“, sondern ein Optimismus der Tat. Kein „Wir schaffen das (schon)“-Optimismus, sondern einer, der klärt, wer und was auf welche Weise angepackt werden muss. Diese Haltung müssen wir verbreiten, nämlich aktiv zu sein, sich einzubringen, seinen Beitrag für eine bessere Welt zu leisten. Menschen, die sich engagieren, sind in der Regel besser gelaunt als diejenigen, die sich abwenden und nur kritisieren. Wenn Du wirklich willst, dass sich etwas ändert in der Welt, warum das dann anderen überlassen? Die anderen haben ihre eigenen Interessen und Sehnsüchte. Das ist selbst in der Bundestagsfraktion so und völlig normal. Wir sind zwar alle Sozialdemokrat/innen und haben das gleiche Regierungsprogramm beschlossen, aber vorantreiben können wir als Einzelne nur Bruchteile davon und erfolgreich meist da, wo wir selbst eine Leidenschaft für das Thema haben. Aus diesen vielen Mosaiksteinen kann dann ein gutes Gesamtbild werden und das gilt genauso für unser ganzes Land. Die positive Seite des großen Durcheinanders unserer Tage ist, dass sehr viele Menschen gerade spüren, es könnte auf sie ankommen. Es gibt gerade sehr viele Neueintritte oder Leute, die sich einfach melden und etwas tun wollen. Wir leben also in politischen Zeiten. Das ist eine große Chance. Ich arbeite dafür, dass wir diese Chance für unsere Politikvorstellungen, für eine gerechtere Welt, für gegenseitigen Respekt und gutes Zusammenleben nutzen.

Vielen Dank für die Unterstützung dabei.

Frohe Feiertage und alles Gute in 2017,

Ihr/Euer

Lars Castellucci

PS: Diese Zeilen waren schon geschrieben, als uns die Nachricht von der LKW-Attacke an der Gedächtniskirche erreichte. Ich war mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auch gerade auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin, aber auf dem Gendarmenmarkt, nicht im Westen. Ich bin erschüttert, meine Gedanken sind bei Opfern und Trauernden. Wir sind derzeit herausgefordert, wie ich es in meinem Leben bislang nicht kannte. Und gerade jetzt müssen sich unsere Werte beweisen. Wir werden uns unsere Art zu leben nicht nehmen lassen. Die Liebe ist am Ende stärker. Den Wiederbeginn dieser Geschichte feiern wir am Samstag.

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