Herrn Jörg Albrecht, Oberbürgermeister
Herrn Friedhelm Zoller, Fraktionsvorsitzender CDU
Herrn Harald Gmelin, Fraktionsvorsitzender Freie Wähler
Herrn Alexander Hertel, Fraktionsvorsitzender Aktiv für Sinsheim
Betreff: Offener Brief anlässlich des Gegenprotests gegen Aufmärsche von NPD, „Die Rechte“ und anderer rechtsradikaler Gruppierungen in Sinsheim; RNZ-Artikel vom 9. Mai (Rechte Demonstranten in Sinsheim – Ignorieren oder protestieren?)
Heidelberg, 17. Mai 2017
Sehr geehrte Herren,
in o.g. Artikel zum Protest gegen den Aufmarsch der NPD und anderer rechtsradikaler Gruppierungen am 6. Mai heißt es, nach vorheriger Nennung Ihrer Namen: „Mehrere politische Vertreter kritisierten, dass der Gegenprotest mit Fahnen von politischen Parteien und Gewerkschaften instrumentalisiert werde“ (RNZ, 9.5.2017). Dies können wir nur mit dem größten Befremden zur Kenntnis nehmen. Wenn die Ausübung der Pflicht aller demokratischen Organisationen und Parteien, menschenfeindlichen und verfassungswidrigen Vereinigungen und Parolen (wie „Ausländer raus“, „Überfremdung“, „Todesstrafe“ u.ä.) entgegenzutreten, derart angegriffen wird, fehlt uns dafür jegliches Verständnis.
DGB und IG Metall beteiligen sich seit vielen Jahren am Bündnis für Toleranz Sinsheim, das regelmäßig zu Protesten gegen die Demonstrationen rechtsradikaler Gruppierungen aufruft. Kernbestand einer politischen Demonstration, Kundgebung oder eines Protests ist es dabei, dass man öffentlich Forderungen deutlich macht und mit Fahnen erkennbar ist, für welche Gruppierung man spricht und steht. Statt um „Instrumentalisierung“ handelt es sich vielmehr um gelebte Demokratie. Wir halten es darüber hinaus für schlicht unsäglich, linke und rechte Demonstranten gleichzusetzen. Dies ist vielfach widerlegt und kommt einer Verunglimpfung demokratischer Kräfte gleich.
Wenn von gewählten Vertretern der Stadt weiter gesagt wird, bei der Anzahl der Teilnehmer an rechtsradikalen Kundgebungen sei „kein Trend zu erkennen, dass es deutlich mehr werden“ (RNZ, 9.5.2017), ist dem entgegen zu halten: Die Demonstrationen rechtsextremer Parteien und Gruppierungen finden in Sinsheim bereits seit fast einem Jahrzehnt statt, immer wieder, zuletzt im Abstand von vier Wochen. Aufforderungen, man solle die rechten Demonstranten ignorieren, sonst werte man sie nur auf (RNZ, 9.5.2017) sind durch die Realität widerlegt. Auch 20 Rechtsradikale, wie am 8. April 2017, sind 20 zu viel; am 6. Mai waren es bereits über 60 aus vier Bundesländern.
Durch Schweigen und Wegschauen wurden schon einmal Nazis in diesem Land stark. Aus den Erfahrungen der deutschen Geschichte ist vor jeder Verharmlosung dieser Neonaziaufmärsche und ihren Parolen zu warnen. „Man solle sich wegen ein paar Spinnern nicht den Samstag verderben lassen“ (RNZ, 9.5.2017) kann nicht als Handlungsanweisung dienen. Angesichts der Tatsache, dass in keiner vergleichbaren baden-württembergischen Stadt solche Demonstrationen sich derart häufen, ist es aus unserer Sicht unverantwortlich, die Bevölkerung weiterhin zum Ignorieren aufzurufen. Durch Passivität sehen sich die Rechtsradikalen in ihrer Aussage bestätigt, Sinsheim sei ihre „Hauptstadt der Region“ und „national befreite Zone“.
Sie kritisieren in Ihren Aussagen ferner die Form und den Teilnehmerkreis bei Aktionen gegen die rechtsradikalen Aufmärsche. Sie stellen damit und mit der eingangs beschriebenen Kritik absurderweise die Aktivitäten gegen die NPD als Problem dar. Dies bitten wir Sie dringend klar zustellen. Aktuell erhalten Sie für Ihre Aussagen von der NPD Zustimmung im Internet. In Veröffentlichungen auf Facebook (z.B. bei Jan Jaeschke, 9.5.2017) und auf ihrer Homepage lobt sie den Oberbürgermeister der Stadt Sinsheim und einen Fraktionsvorsitzenden, was so unerträglich wie beschämend ist. Diese Taktik, Demokraten spalten zu wollen, fährt die NPD nicht zum ersten Mal. Wir wollen und können uns nicht vorstellen, dass sie verfängt, sehen aber mit Sorge, dass Ihre Aussagen geeignet sind, dem Vorschub zu leisen. Wir können dies aber gemeinsam verhindern, indem wir klar machen, dass wir uns in unserer Haltung gegen die NPD einig sind und zusammen gegen Rechtsradikale einstehen.
Das Treiben der rechtsradikalen Gruppen und das Ausbleiben von großen, auch durch alle Parteien und das Stadtoberhaupt mitgetragenen Protesten in Sinsheim, geraten landesweit immer mehr in negative Schlagzeilen. Der Landtagsabgeordnete Dr. Boris Weirauch (SPD, Wahlkreis Mannheim II) hat Anfang des Monats eine parlamentarische Anfrage an die Landesregierung gestellt, in der er um Aufklärung darüber bittet, weshalb es in Sinsheim zum wiederholten Mal zu rechtsextremistischen Kundgebungen komme. Der Landtagsabgeordnete Hermino Katzenstein (Grüne, Wahlkreis Sinsheim) wurde mit dem Hinweis zitiert, in Heidelberg kämen „die rechten Demonstranten aufgrund der Masse an Gegendemonstranten nicht einmal vom Bahnhofsvorplatz weg“ (RNZ, 7.5.2017) und deshalb solle der Sinsheimer Gemeinderat zur Gegendemo aufrufen und Präsenz zeigen.
Es kann auch anders gehen: Vielerorts finden Gegenkundgebungen gegen Nazi-Aufmärsche mit Unterstützung der Stadtspitze und fast des gesamten Gemeinderats statt, beispielsweise am 3.10.2012 in Heidelberg unter aktiver Beteiligung des Oberbürgermeisters, Dr. Eckart Würzner (parteilos), der bei der Kundgebung zum friedlichen aber entschlossenen Eintreten gegen die NPD aufrief. Der Bundestagsabgeordnete der CDU, Dr. Karl A. Lamers, hat am 24.10.2015 an einer Kundgebung von 2000 Demonstranten gegen 28 Neonazis vor dem Hauptbahnhof Heidelberg in der ersten Reihe teilgenommen – gemeinsam mit der Antifa (RNZ, 26.10.2015). Die RNZ vom 1.10.2015 zitierte den Heidelberger Bürgermeister Erichson: „Wenn rechte Gruppen demonstrieren wollen, lässt sich das nicht verbieten. Aber bisher hinderte sie die Stadtgesellschaft erfolgreich daran.“ In Waibstadt haben im Oktober 2014 rund 1 000 Bürger gegen eine handvoll Nazis und deren Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten demonstriert. Rechtsradikale sind seitdem dort nicht mehr aufgetreten, deshalb sind wir fest davon überzeugt, dass nur das gemeinsame und entschlossene Eintreten gegen sie zum Erfolg führt.
Es wäre sehr zu begrüßen, wenn in Sinsheim bei Kundgebungen gegen Rechtsradikale ein Umdenken stattfindet und künftig auch Fahnen von CDU oder Freien Wählern zu sehen und neben Trillerpfeifen auch andere kreative Protestformen präsent wären. Denn weitere rechtsradikale Demonstrationen sind für dieses Jahr bereits angekündigt, so dass nicht nur das Ansehen der Stadt und ihrer Bevölkerung weiter Schaden nimmt, sondern auch Gewerbe und Unternehmen.
Wir schlagen Ihnen als Oberbürgermeister und Vorsitzenden der Gemeinderatsfraktionen bzw. als Vertretern Ihrer Parteien vor, in den nächsten Wochen in einer gemeinsamen Runde oder auch in einzelnen Treffen und Gesprächen, zusammen mit Vertretern aller Gemeinderatsfraktionen sowie den Sprechern des Bündnisses für Toleranz Sinsheim, über ein künftiges gemeinsames Vorgehen zu beraten. Wir hoffen auf Ihre Gesprächsbereitschaft und auf diesem Weg zu einvernehmlichen Festlegungen über wirksame Gegenmaßnahmen zu kommen. Der RNZ vom 10. Mai haben wir entnommen, dass Herr Pfarrer Dietmar Coors als Sprecher des Bündnisses für Toleranz ebenfalls eine solche gemeinsame Koordinierung vorschlägt.
Gerne erwarten wir Ihre Antwort und Terminvorschläge für die kommenden Wochen und dürfen uns für Ihre Bemühungen im Voraus herzlich bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Mirko Geiger Thomas Wenzel
Erster Bevollmächtigter Vorsitzender
IG Metall Heidelberg DGB-Kreisverband Heidelberg Rhein-Neckar