Interview mit Carsten Ramm
(zg) Am Mittwoch, 15. Februar 2017 findet um 19.30 Uhr im Wilhelmi-Gymnasium in Sinsheim Schmerzliche Heimat in der Regie von Carsten Ramm statt. Die Badische Landesbühne zeigt Semiya Simseks und Peter Schwarz’ Buch in einer Bühnenfassung von Christian Scholze.
Semiya Simsek ist die Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Simsek und sie verarbeite in Schmerzliche Heimat die Erfahrungen ihrer unter Generalverdacht stehenden Familie.
Warum steht Schmerzliche Heimat auf dem Spielplan der Badischen Landesbühne?
Sehr lange wurden die Täter der Mordserie des NSU nicht gefasst und stattdessen wurden Unschuldige verdächtigt. Die Familien der Opfer standen unter Beschuss der Behörden und der Presse. Dieser Umgang mit den Opfern, die alle einen Migrationshintergrund haben, war unmenschlich und auch rassistisch. Stereotypen und Vorurteile bestimmten die Ermittlungen statt den Blick auf das Neonazi-Milieu zu richten. Es ist Zeit, den Opfern zuzuhören. Mit dem Stück Schmerzliche Heimat tun wir das. Es beruht auf dem gleichnamigen Buch von Semiya Simsek, der Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Simsek. Aus der Sicht von Semiya und ihrer Familie fühlen wir mit, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren und von den Behörden verdächtigt, verhört und malträtiert zu werden. Wir werden Zeugen eines der größten Skandale der neueren deutschen Geschichte.
Die rechte Szene wird vom Verfassungsschutz überwacht. Wie konnte es überhaupt zu einer Organisation wie dem NSU kommen?
„Überwacht“ ist noch untertrieben! Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe radikalisierten sich in der Organisation „Thüringer Heimatschutz“, dem ehemals militantesten und dichtesten Neonazi-Netzwerk in Thüringen. Und zwar unter den Augen des Verfassungsschutzes: Bis zu 45 Personen dieser Vereinigung waren sogenannte Vertrauensmänner, auch V-Männer genannt. Das bedeutet, dass jedes vierte Mitglied V-Mann war. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dem Verfassungsschutz die Pläne der drei, die ja auch rege von anderen Mitgliedern der Szene unterstützt wurden, komplett entgangen sind. Umso größer ist der Skandal, dass das Trio ganze elf Jahre mordete und raubte, ohne gefasst zu werden, geschweige denn, in Verdacht zu geraten.
Seit Mai 2013 findet der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier weitere Unterstützer des NSU vor dem Oberlandesgericht München statt, es gab und gibt zahlreiche Untersuchungsausschüsse. Widerfährt den Opfern endlich Gerechtigkeit?
Semiya Simsek erklärt in Schmerzliche Heimat, dass die Morde nur möglich wurden, weil das Trio von einer starken Unterstützerszene getragen wurde. Sie schrieb: „Diejenigen, die in diese Verbrechen verstrickt sind, sollen zur Verantwortung gezogen werden.“ Doch genau das geschieht nicht! Viele der Mordfälle sind voll von Widersprüchen, denen die Behörden nicht nachgegangen sind. Was hatte zum Beispiel ein Verfassungsschützer zur Tatzeit an einem Tatort zu suchen? Und warum verließ er den Tatort und musste erst von der Polizei ausfindig gemacht werden, statt sich selbst zu melden? Warum gibt es keine ernstzunehmende Untersuchung, die sich mit der Rolle des Verfassungsschutzes auseinandersetzt? Und warum sind neben Beate Zschäpe nur vier weitere Personen angeklagt? Es gibt ein ganzes Netzwerk von Unterstützern! Doch die Untersuchungsausschüsse der Parlamente und der NSU-Prozess in München treten auf der Stelle, weil sie von Behörden ausgebremst werden. Von Aufklärung und Gerechtigkeit keine Spur!
Mit Kathrin Berg, Evelyn Nagel; Cornelius Danneberg, Ulrich Hartmann, Inszenierung: Carsten Ramm, Bühnenbild: Tilo Schwarz, Kostüme: Kerstin Oelker, Musik: Ulrich Hartmann
Mittwoch, 15. Februar 2017, 19.30 Uhr, Sinsheim, Wilhelmi-Gymnasium
Kartenvorverkauf:
Bürgerbüro der Stadtverwaltung, 07261.404136, E-Mail: [email protected]
Bücherland Sinsheim, 07261.64288, E-Mail: [email protected]
Buchhandlung Doll, 07261.2322, E-Mail: [email protected]
Quelle: Martina Illinger