Wahlniederlage ist Problem und Chance zugleich.
(zg) Aufsteigende Herbstnebel begleiteten den Kreisparteitag der SPD Rhein-Neckar zur Analyse der Bundestagwahl, aber die Stimmung im Saal der Neulussheimer Turnhalle war durchaus „aufgeräumt“. „Schließlich“, so Kreisvorsitzender Thomas Funk „haben die Genossinnen und Genossen an Rhein und Neckar bravourös gekämpft und sind auch künftig mit zwei Abgeordneten im Bundestag vertreten. “So stand denn auch der Dank an die Kandidierenden Lars Castellucci (Rhein-Neckar), Lothar Binding (Heidelberg-Weinheim) und Neza Yildirim (Bruchsal-Schwetzingen) und die Gratulation an Ortsvereine und Jusos für einen ungemein engagierten Wahlkampf am Anfang. „Unsere drei Wahlkreise liegen unter den ersten Zehn in Baden-Württemberg, mit Ergebnissen deutlich über dem Landesschnitt. Engagierte Mitglieder, viele Neueintritte gerade junger Menschen und eine vergleichsweise gute Struktur mit zwei Landtags- und zwei Bundestagsabgeordneten geben uns Rückhalt und sind ein Fundament, auf dem sich aufbauen lässt“, ist Funk überzeugt.
Trotz einer großartigen Mobilisierung, eines guten Programms und eines überzeugenden Spitzenkandidaten könne man aber die Niederlage nicht leugnen. Wer wie die SPD nach allen Seiten verloren habe, könne schwerlich behaupten, alles richtig gemacht zu haben. Wichtige Politikfelder (Europa, Sicherheit, Bildung) wurden der Konkurrenz überlassen, Gesundheit und Rente kamen zu kurz. Die Vision von einem gerechten Deutschland blieb für die Wähler zu sehr im Ungefähren, wodurch entscheidende Unterschiede zur Konkurrenz nicht sichtbar wurden. Auch die Kampagne selbst bekam viel Kritik ab („zu spät, zu schwerfällig, zu unflexibel“). In der fast anderthalbstündigen Aussprache sparten die 105 Genossen nicht mit Kritik. „Man hat sich verzettelt: statt 27 Themen hätte man sich besser auf 5 Hauptthemen beschränkt“ und „Viel Würselen, wenig Europa ist unserem Kanzlerkandidaten Martin Schulz nicht gerecht geworden. Man hat ihn deutlich unter Wert verkauft,“ war Kritik der Genossen und der Hinweis auf strategische Fehler in der Kampagne, die konkret an das Willy-Brandt-Haus gerichtet waren. Dadurch sei die Sichtbarkeit der SPD in den Medien und bei der Bevölkerung „verpufft“ sei. In großer Offenheit wurden die Gründe für die Wahlniederlage angesprochen. Der Fokus der Diskussion lag aber nicht auf dem, was schlecht gelaufen ist, sondern darauf, was zukünftig besser werden muss. Denn: Die SPD will sich erneuern und die Basis ist motiviert, daran aktiv mitzuwirken.
Den Aufschlag dazu machte eine von der Juso-Vorsitzenden Elisabeth Krämer moderierte Gesprächsrunde, in der die Bundestagskandidaten Lothar Binding, Lars Castellucci und Neza Yildirim ihre ganz persönlichen Eindrücke der vergangenen Monate schilderten und ihre Lehren aus dem Wahlkampf zogen. Dabei ging es etwa um Fragen wie „Wofür steht die SPD?“ oder „Wie kann die Partei Vertrauen zurückgewinnen?“. Binding und Yildirim riefen dazu auf, die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter aufgehen zu lassen. Statt taktischer Scharmützel müssten Sozialdemokraten in einer sich ständig wandelnden Welt um plausible Antworten bemühen, wie eine gute Zukunft möglich sei, die sich nicht auf die natürlichen Profiteure der Globalisierung und Digitalisierung beschränkt. Castellucci warb dafür, sich wieder näher bei den Menschen zu verankern und der SPD in den Gemeinden ‘Gesichter‘ zu geben. Für ihn muss die SPD ausgetretene Pfade verlassen und eine Vision für die Zukunft anbieten, die die gesamte Gesellschaft im Blick hat. Die Partei zu reformieren, sie programmatisch und organisatorisch neu aufzustellen, erfordert Dialog und schonungslose Offenheit. Genug zu tun für eine Partei in der Opposition.