Der Verfassungsschutz ist immer stärker gefordert.
Das zeigt der Verfassungsschutzbericht 2017. Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung drohen von islamistischen Extremisten und Terroristen, ebenso von Extremisten von rechts und links, von sogenannten „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“, von ausländischen Geheimdiensten und von der Scientology-Organisation.
„Der islamistische Terrorismus bleibt eine große Bedrohung. In Baden-Württemberg ist eine steigende Zahl an Salafisten aktiv. Deshalb ist die Gefahr weiterer islamistischer Gewalttaten – auch bei uns im Land – nach wie vor hoch“, sagte der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl. Gemeinsam mit der Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Beate Bube stellte er den Verfassungsschutzbericht 2017 vor.
„Der Verfassungsschutz ist immer stärker gefordert. Gefahren für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung drohen von islamistischen Extremisten und Terroristen, ebenso von Extremisten von rechts und links, von sogenannten ‚Reichsbürgern‘ und ‚Selbstverwaltern‘, von ausländischen Geheimdiensten und von der Scientology-Organisation“, fasste Innenminister Strobl die Ergebnisse des Verfassungsschutzberichts zusammen.
„Um den Gefahren durch extremistische Gruppierungen wirksam begegnen zu können, haben wir im Jahr 2017 das Landesverfassungsschutzgesetz geändert. Damit haben wir dem Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich der Terrorismusbekämpfung mehr Möglichkeiten an die Hand gegeben. Mit modernen rechtlichen Instrumenten sorgen wir für die best-mögliche Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes“, so Strobl.
Islamistischer Terrorismus
„Die Ereignisse des Jahres 2017 haben uns erneut das Ausmaß des islamistischen Terrorismus in Europa auf schreckliche Art und Weise verdeutlicht. Es kam in mehreren europäischen Ländern zu hinterhältigen Anschlägen. Außerdem gab es 2017 zahlreiche Attacken von Einzeltätern, die durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) inspiriert waren, beispielsweise die Messerattacke eines Asylbewerbers am 28. Juli 2017 in Hamburg-Barmbek“, erklärte Innenminister Thomas Strobl.
„Das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet derzeit rund 3.600 Islamisten in Baden-Württemberg. Darunter sind etwa 750 Salafisten, die sich in 20 Objekten und Vereinigungen betätigen“, so Strobl. Die Szene sei verstärkt im Internet aktiv und versuche dort, ihre Ideologie zu verbreiten und das salafistische Netzwerk zu stärken. Neben den jihadistischen Salafisten behalte man auch diejenigen Organisationen im Blick, die dem politischen Islamismus zuzurechnen seien.
Weiterhin Ausreisen nach Syrien und Irak
Die Krisenregion Syrien/Irak zieht nach wie vor Jihadisten aus Deutschland an, wenngleich sich für 2017 eine erheblich verringerte Ausreisedynamik abzeichnete. Ende 2017 lagen den Sicherheitsbehörden Hinweise zu mindestens 960 Personen aus dem Bundesgebiet vor, die nach Syrien beziehungsweise in den Irak aufgebrochen sind. Dort kämpfen sie für terroristische Gruppierungen wie den sogenannten Islamischen Staat oder unterstützen diese anderweitig. Aus Baden-Württemberg waren es bisher etwa 50 Personen; rund ein Dutzend von ihnen ist bei Kampfhandlungen oder Selbstmordattentaten ums Leben gekommen.
„Ich kann keine Entwarnung geben. Ein erhebliches Sicherheitsrisiko sind die Rückkehrer aus dem IS-Gebiet. Sie fordern die Sicherheitsbehörden in besonderem Maße heraus. Hinzu kommen Jihadisten, die sich in Deutschland radikalisiert haben. Wir müssen daher weiterhin ein besonderes Augenmerk auf diese Personen legen“, betonte Strobl.
Auswirkungen der Konfliktlage in der Türkei auf Deutschland und Baden-Württemberg
„Die seit Jahren angespannte Lage in der Türkei hat auch weiterhin direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Baden-Württemberg“, sagte Beate Bube, Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz.
Auch 2017 kam es in Baden-Württemberg zu zahlreichen Protestaktionen von Anhängern der verbotenen „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK), die teilweise unfriedlich verliefen. Anlass war zum einen, dass das Bundesministerium des Innern im März 2017 das mit dem Betätigungsverbot der PKK einhergehende Kennzeichenverbot aktualisierte, zum anderen das Gerücht über den Tod des PKK-Führers Abdullah Öcalan, das im Oktober 2017 in sozialen Medien verbreitet wurde. Die Anhänger türkischer linksextremistischer Gruppierungen und PKK-naher Organisationen aus Baden-Württemberg beteiligten sich auch an den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017.
„Es ist zu befürchten, dass gewalttätige Eskalationen zwischen den kurdischen und türkischen extremistischen Organisationen auch in Baden-Württemberg weiter andauern werden, solange der Konflikt in der Türkei nicht befriedet ist. Dieser Konflikt wurde durch die türkische Militäroffensive im syrischen Afrin weiter geschürt. Solchen Eskalationen auf unserem Boden werden wir entschieden entgegentreten. Es ist nachvollziehbar, dass Menschen mit Wurzeln in der Türkei die Geschehnisse dort mit Interesse verfolgen. Aber ich sage ganz klar: Wir lassen es nicht zu, dass innertürkische Konflikte bei uns im Land zu Feindseligkeiten führen oder gar mit Gewalt ausgetragen werden. Die Sicherheitsbehörden im Land werden in diesen Fällen konsequent für Sicherheit und Ordnung sorgen“, unterstrich der Minister.
Rückläufige Entwicklung bei Personenpotenzial und rechtsextremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten
Beim rechtsextremistischen Personenpotenzial hat sich in Baden-Württemberg die seit 1993 rückläufige Tendenz auch 2017 fortgesetzt. Landesweit sind noch rund 1.630 Rechtsextremisten zu verzeichnen. Das gewaltorientierte Spektrum umfasst circa 770 Personen.
Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten ist weiter gesunken und beläuft sich für das Jahr 2017 auf 1.318 Straftaten. Auch bei den Gewalttaten zeigte sich im Vergleich zu 2017 ein Rückgang von 44 auf 39 Gewalttaten. Allerdings, so betonte Verfassungsschutzpräsidentin Bube: „Im langjährigen Vergleich ist die Zahl der Gewalttaten weiterhin relativ hoch. Daher gibt es beim Rechtsextremismus keinen Anlass für eine Entwarnung.“
Rechtsextremistische Parteien
Die in Baden-Württemberg aktiven, ideologisch fest im Rechtsextremismus verankerten Parteien „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“ (NPD), „DIE RECHTE“ und „DER III. WEG“ sind bei Wahlen momentan weitgehend bedeutungslos. Das zeigt das äußerst schlechte Abschneiden der NPD und der Partei „DIE RECHTE“ bei der Bundestagswahl 2017. Die NPD ist nach wie vor die mit Abstand mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in Baden-Württemberg. „Wir werden weiterhin ein wachsames Auge auf die Aktivitäten der NPD haben“, erklärte der Minister.
„Identitäre Bewegung“
Die „Identitäre Bewegung“ (IB), die seit Dezember 2015 unter Beobachtung steht, hat im Land bislang rund 80 Mitglieder. Sie tritt sowohl im Internet als auch mit Aktionen wie Informationsständen, Flugblattverteilungen und regionalen Stammtischen in Erscheinung. Die IB vertritt fremdenfeindliche – insbesondere islamfeindliche – Positionen und spricht in erster Linie junge Erwachsene an.
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“
Den baden-württembergischen Sicherheitsbehörden waren Ende 2017 rund 2.500 Angehörige des „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Milieus bekannt (bundesweit: 16.500). Ende 2016 waren es noch rund 1.500. Die Datenerhebung dauert aktuell noch an.
„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ zeigen eine besondere Affinität zu Schusswaffen. Bei Durchsuchungsmaßnahmen in mehreren Ländern, darunter auch in Baden-Württemberg, stellte die Polizei am 29. März 2017 neben Materialien zur Herstellung von „Reichsbürger“-Dokumenten auch Waffen mit Munition sicher. „Es ist weiterhin von einer erhöhten Gewaltbereitschaft vieler ‚Reichsbürger‘ und ‚Selbstverwalter‘ auszugehen. Diese Personen sind waffenrechtlich als unzuverlässig einzustufen. Deshalb ist unser Ziel, ihnen konsequent die waffenrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen“, sagte der Innenminister. Die Waffenbehörden prüfen derzeit im Auftrag des Innenministeriums die Möglichkeit, waffenrechtliche Erlaubnisse bei Szeneangehörigen zurückzunehmen oder zu widerrufen. Bislang haben wurden auf diesem Wege 50 waffenrechtliche Erlaubnisse von „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ eingezogen.
Linksextremismus – erneuter Anstieg des Personenpotenzials, Rückgang der Straftaten
In Baden-Württemberg ist die Zahl der Linksextremisten 2017 erneut angestiegen, von 2.630 Personen im Jahr 2016 auf nunmehr 2.780 Personen. Die Zahl gewaltorientierter Linksextremisten hat sich im vergangenen Jahr auf 860 Personen gegenüber 820 Personen im Vorjahr erhöht. Linksextremistische Straf- und Gewalttaten waren jedoch im Jahr 2017 deutlich rückläufig. „Ursache dafür ist wohl, dass es 2017 keine entsprechenden Großereignisse für die Szene im Land gab. Die Linksextremisten waren sehr auf den G20-Gipfel in Hamburg fixiert“, führte Strobl aus. Auch wenn die Zahl von Gewalttaten gesunken ist – die Gewaltbereitschaft bei Auseinandersetzungen mit der Polizei ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.
Bei den Protesten gegen den G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg kam es zu schweren gewalttätigen Ausschreitungen durch linksextremistische Gruppen, bei denen mehr als 490 Polizeibeamte verletzt worden sind. An den Protesten waren etwa 500 Linksextreme aus Baden-Württemberg beteiligt. „Die Bilder der gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel haben verdeutlicht, dass Linksextremisten eine ernst zu nehmende Gefahr für unsere Sicherheit und für unsere demokratischen Werte sind. Solchen Gewaltexzessen muss sich der demokratische Rechtsstaat mit Nachdruck entgegenstellen“, betonte Innenminister Strobl.
„Der Rechtsstaat ist im vergangenen Jahr entschlossen und konsequent gegen den Linksextremismus vorgegangen. Das hat zum Beispiel das vereinsrechtliche Verbot der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ gezeigt. Bis dahin hatte die Vereinigung die wichtigste Internetplattform des gewaltorientierten Linksextremismus in Deutschland betrieben“, so Minister Strobl. Am 14. August 2017 hat der Bundesminister des Innern die Vereinigung verboten und aufgelöst. Im Zusammenhang mit dem Verbot fanden in Baden-Württemberg in fünf Objekten Durchsuchungen und Beschlagnahmen statt, unter anderem im „Kulturtreff in Selbstverwaltung“ (KTS) in Freiburg im Breisgau, wo sich die Mitglieder von „linksunten.indymedia“ regelmäßig trafen. Insgesamt waren rund 250 Beamte der Landespolizei eingesetzt. Bei den Durchsuchungen wurden neben Laptops Gegenstände wie Butterflymesser, Schlagwerkzeuge und auch sogenannte Zwillen aufgefunden.
Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz – Deutschland und Baden-Württemberg im Fokus türkischer und russischer Nachrichtendienste
Die Arbeitsschwerpunkte der baden-württembergischen Spionageabwehr lagen 2017 bei der Bekämpfung von Aktivitäten des türkischen Nachrichtendienstes „Milli Istihbarat Teskilati“ (MIT) sowie der Nachrichtendienste der Russischen Föderation. Spionage verlagerte sich immer mehr ins Internet. Die Bedrohungen durch Cyberspionage und -sabotage nahmen 2017 erneut zu. Im Fokus ausländischer Nachrichtendienste standen die Technologie und das Know-how einer Vielzahl von wirtschaftsstarken und innovativen Unternehmen in Baden-Württemberg. Ziel elektronischer Angriffe waren vor allem der Fahrzeugbau, die Luft- und Raumfahrttechnik sowie die Energiebranche.
„Scientology-Organisation“ – neues Zentrum in Stuttgart vor der Eröffnung
„Scientology“ hat in Baden-Württemberg einen ihrer Aktionsschwerpunkte in Deutschland und das bundesweit dichteste Netzwerk von Niederlassungen. Die Wirtschaftskraft Baden-Württembergs macht das Land zum wichtigen Standort, weil die Finanzierung der Scientology-Organisation (SO) maßgeblich auf Spenden ihrer Anhängerschaft beruht.
„Die Scientology-Organisation plant nach wie vor, in Stuttgart eine neue Repräsentanz zu eröffnen und zum größten SO-Zentrum in Deutschland auszubauen. Die Renovierungsarbeiten am Objekt in der Heilbronner Straße in Stuttgart sind mittlerweile so weit vorangeschritten, dass mit einem Eröffnungstermin in naher Zukunft zu rechnen ist“, erklärte Präsidentin Bube.
Verfassungsschutzbericht 2017 (PDF)
Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg
Quelle: Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration