Stimmungsvolle Lesung mit Kerstin Müller
(zg) Es ist inzwischen eine gern gepflegte Tradition der Stadtbibliothek Sinsheim und der Buchhandlung Doll, dass dienstags nach dem 1. Advent Kerstin Müller mit Geschichten und Gedichten auf die Advents- und Weihnachtszeit einstimmt.
Schon von weitem sah man, dass in der Buchhandlung etwas Besonderes sein musste, denn man konnte erkennen, dass der Laden voller Stuhlreihen war.
Bald kamen auch die zahlreichen Zuhörer, denen Glühwein, Tee und Lebkuchen angeboten wurde. Die gemütliche Atmosphäre passte zu der stimmungsvollen Lesung mit Kerstin Müller. Nach der Begrüßung durch Klaus Gaude begann Frau Müller mit „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ von Hans-Christian Andersen. Diese eher getragene Geschichte handelt von einem armen Mädchen, das beim Abbrennen der Streichhölzer von einem besseren Leben träumt. Anschließend las sie einen Briefwechsel von 1987 vor. Damals hatte ein Mädchen einen Brief an die Zeitung „Sun“ geschrieben und gefragt, ob es einen Weihnachtsmann gebe. Die Antwort erschien auf der Titelseite. Darin erklärte der Herausgeber, dass es den Weihnachtsmann ebenso gebe wie Phantasie, Wunder, Elfen, Glaube, Liebe und Poesie. Dieser Briefwechsel wurde jedes Jahr veröffentlicht, bis die Zeitung eingestellt wurde. Weiter ging es mit der Erzählung „Weihnacht“ von Guy de Maupassant. Ein alleinstehender Mann will nie mehr Weihnachten feiern, weil er einmal eine Überraschung der besonderen Art erlebte. Er hatte sich zu Weihnachten ein üppiges Menue für zwei Personen bestellt. Er wollte dies in Gesellschaft einer Frau genießen. Er suchte in den Straßen von Paris eine Frau nach seinem Geschmack, d. h. eine dicke Frau. Er fand eine, die ihn auch begleitete, aber schnell stellte sich heraus, dass die schwanger war. Nachbarn und ein Arzt waren anwesend, als sie ihr Kind gebar, für das sich der Mann verantwortlich fühlte und es daher finanziell unterstützen würde. Solch ein aufregendes Weihnachtsfest wollte er nie mehr erleben.
Eine zauberhafte Liebeserklärung an den Schnee bot die Geschichte „Winter auf dem Semmering“ von Peter Altenberg. Darin beschreibt er fast zärtlich Schneeflocken und wie herrlich die Schneehäufchen auf den Spitzen der Gartnenzäune liegen.
Es ging abwechslungsreich weiter mit „Die drei stillen Messen „ von Alphonse Daudet. Ein Priester ist bei einem Marquis zu einem großen Weihnachtsessen eigeladen, das nach den Mitternachtsmetten stattfinden wird. Es ist allerdings Brauch, dass drei Messen hintereinander gelesen werden. Der Priester ist nicht ganz bei der Sache, da er sich die Köstlichkeiten der Tafel vorstellt. Daher spricht er immer schneller und lässt sogar Teile der Liturgie aus. Für die Sünde der Völlerei, denn er hat den Speisen ausgiebig zugesprochen, soll er nach seinem Tod 300 Messen nacheinander lesen. Man erzählt sich, dass man in der Ruine des Schlosses, das es wirklich gibt, zu Weihnachten gespenstische Dinge sehen kann.
Humorvoll ging es weiter mit „S`Weggetaler Kripple“ von Sebastia Blau, das Kerstin Müller auf Schwäbisch vorlas. Bethlehem liegt in Schwaben, die Hirten bringen Kreuzer, Schnupftabak und eine Pudelkappe. Als Maria und Josef mit Jesus den Stall verlassen müssen, fliehen sie ins Ausland, nach Baden.
Nun folgte ein Weihnachtsgedicht von Jean Anouilh: „Jesuskind, wo bist du?“ Es ist u. a. in den Herzen der Kranken und Einsamen.
Dieses Gedicht sollte eigentlich den Abschluss der Lesung bilden, aber durch den anhaltenden Applaus las Kerstin Müller als Zugabe. „Die „Weihnachtsgans Auguste“ von Friedrich Wolf gab dem Abend ein heiteres Ende. Auguste sollte zum Weihnachtsbraten werden. Aber die Kinder haben sich an das Tier gewöhnt und besonders das jüngste Familienmitglied liebt die Gans. Auch der Vater kann sie nicht töten. Also wird sie mit reichlich Schlafmittel betäubt. Da man annimmt, dass sie dadurch sterben wird, wird sie gerupft. Aber am nächsten Tag kommt aus der Speisekammer eine lebendige, jedoch nackte Gans. Sie bekommt einen schönen weißen Wollpullover gestrickt und wird von allen in der Stadt bewundert.
Kerstin Müller war es gelungen die Zuhörer zu begeistern, denn die Auswahl der Geschichten bot für jede Stimmung etwas. Ihre Art zu lesen, Geschichten lebendig werden zu lassen, machte die Lesung zu einem eindrucksvollen Abend.
Es duftete nach Glühwein, man unterhielt sich noch ein wenig, und die sehr gelungene Veranstaltung klang ganz langsam aus.