Zum Auftakt der neuen Reihe “Arena fürs Klima” diskutierten international anerkannte Expertinnen und Experten über die Bedeutung von Wasserstoff in der Energiewende.
(zg) Wenn die Energiewende gelingen soll, muss Wasserstoff eine zentrale Rolle spielen. Darin waren sich die Gäste der Veranstaltung “Wasserstoff – Utopie oder Hype” am 12. Mai in der KLIMA ARENA einig. In der informativen und unterhaltsamen Talk-Runde, die von Dr. Bernd Welz, dem Vorstandsvorsitzenden der Klimastiftung für Bürger, moderiert wurde, waren Dr. Doris Wittneben, Bereichsleiterin „Zukunftsfelder und Innovation“ bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, Prof. Holger Hanselka, Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie, KIT, und Prof. Andreas Löschel, Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“, zu Gast. Sie diskutierten über Chancen und Herausforderungen der Produktion und Nutzung von Wasserstoff, insbesondere in der Industrie und der “großen” Mobilität. Mehr als 400 Menschen verfolgten über verschiedene virtuelle Kanäle die Veranstaltung und konnten live Fragen an die Vortragenden richten.
Ein kurzes Stimmungsbild des Publikums zu Beginn der Veranstaltung machte deutlich: Die Wahrnehmung von Wasserstoff in der Gesellschaft geht stark auseinander. Während die einen in dem Gas aufgrund der Speichermöglichkeit und hohen Energiedichte eine große Chance sehen, den Klimaschutz voranzutreiben, sind andere skeptisch was den Preis und Sicherheitsrisiken angeht.
Die Bedenken kann Dr. Doris Wittneben, die als Bereichsleiterin „Zukunftsfelder und Innovation“ bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH die Wasserstoff-Modellregion begleitet, entkräften: “Mit Gasen als Brennstoff haben wir bereits viel Erfahrung und bei richtiger Handhabung ist Wasserstoff ähnlich praktikabel wie beispielsweise Erdgas”. Und der aktuelle Preis sei nicht vergleichbar mit späteren Marktpreisen, weil die Herstellungsmengen noch sehr gering seien.
„Wenn die richtigen Anreize geschaffen werden, wird sich auch der Preis in die richtige Richtung entwickeln“ – davon ist auch Professor Andreas Löschel, Ökonom, überzeugt. Sowohl für die weitere Entwicklung von Wasserstoff, als auch die gesamte Energiewende sei wichtig, dass günstiger grüner Strom zur Verfügung steht. Dazu brauche es einen stärkeren Ausbau der Erneuerbaren und eine rasche Vollendung der begonnenen Energiepreisreform. Die hohen Umlagen, Abgaben und Steuern auf Strom, insbesondere die EEG Umlage, müssten anders finanziert werden. Am besten indem die bestehende Politik zur Bepreisung fossiler Energieträger weiter ausgebaut werde. Es brauche deutlich höhere CO2-Preise, idealerweise europaweit einheitlich im Emissionshandel und im Wärme- und Transportsektor. Energiepreisreform und höhere CO2-Bepreisung werden durch das neue Klimaschutzgesetz gestärkt. Mit Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Staaten wie Deutschland und Frankreich ist er optimistisch, dass es hier auch zu einem europäischen Vorgehen kommt.
Professor Hanselka: Wir müssen jetzt anfangen!
Doch wie steht es um die konkrete Entwicklung? Während einzelne Wasserstofftechnologien schon seit Jahren im Realbetrieb erprobt sind, so z.B. Wasserstoffbusse, fehlt es noch an der Systemintegration sowie den dafür notwendigen Wasserstoffinfrastrukturen.
In der Metropolregion-Rhein-Neckar entsteht daher in den nächsten Jahren eine Wasserstoff-Modellregion: hier wird als erster Schritt auf dem Weg in eine Wasserstoffwirtschaft mit Hilfe von Fördermitteln eine Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut, welche die gesamte Wertschöpfungskette, von der Wasserstofferzeugung über den Transport bis hin zur Nutzung umfassen wird. Und in Reallaboren, wie dem EnergyLab 2.0 am KIT, wird das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten des Energiesystems der Zukunft erforscht, in welchem Wasserstoff u.a. als Energiespeicher eine wichtige Rolle spielen wird.
Doch auch in der Industrie und im Mobilitätssektor wird grüner Wasserstoff, also mit erneuerbaren Energien wie Wind und Solar hergestellter Wasserstoff, eine Schlüsselrolle spielen, um die Klimaschutzziele zu erreichen: Wasserstoff als Energieträger eignet sich überall dort besonders gut, wo die direkte Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien schwierig ist. So können beispielsweise schwere LKW und Schiffe mit Wasserstoff angetrieben werden. Denn anders als bei der Nutzung von Kohle, Erdgas oder Erdöl als Energieträger, entsteht sowohl bei der Verbrennung von Wasserstoff als auch bei dessen Nutzung in Brennstoffzellen nur Wärme und Wasserdampf.
In der chemischen Industrie, so z.B. in der Düngemittelherstellung, kann grüner Wasserstoff den heute als Grundstoff verwendeten grauen (d.h. aus fossilen Rohstoffen hergestellten) Wasserstoff ersetzen. Als Prozessgas in der Stahlindustrie ermöglicht grüner Wasserstoff mittels des Direktreduktionsverfahrens die Herstellung „grünen Stahls“ und somit den Ersatz der treibhausgasemissionsintensiven Hochofenroute, in welcher Steinkohlenkoks eingesetzt wird.
Damit wir das volle Potenzial dieser Zukunftstechnologien ausschöpfen können, ist es wichtig, dass die Wasserstoffindustrie und die entsprechende Infrastruktur jetzt, parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien, aufgebaut werden. Auch wenn es heute noch nicht genug grünen Wasserstoff gibt, wird der Beitrag zur Klimaneutralität kommen, sobald mehr grüner Wasserstoff verfügbar wird. „Wir müssen jetzt anfangen!“ sagte Professor Hanselka.
Utopie oder Hype? – Realität!
Den Podiumsgästen zufolge ist Wasserstoff also weder Hype noch Utopie, sondern schon heute Realität. Am KIT in Karlsruhe fahren bereits seit 10 Jahren Wasserstoffbusse von Campus zu Campus, in Bad Rappenau, Hirschberg und Heidelberg gibt es Wasserstofftankstellen in der Region und einzelne Industrieunternehmen, wie beispielsweise die BASF, nutzen schon heute in Teilen grünen Wasserstoff, um ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Klar ist, dass wir noch am Anfang stehen, aber wenn es nach den Vortragenden geht, wird die Verfügbarkeit und Nutzung von Wasserstoff in den kommenden Jahren stark zunehmen – mit großen Chancen für die deutsche Wirtschaft und das Klima zugleich.
Zu den Gästen der Talkrunde:
Professor Dr. Holger Hanselka: Der Diplom-Ingenieur ist Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Vizepräsident für den Forschungsbereich Energie der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren sowie Mitglied des Hightech-Forums, dem zentralen Beratungsgremium der Bundesregierung zur Umsetzung der Hightech-Strategie 2025. Als Mitglied des Lenkungskreises der Wissenschaftsplattform Klimaschutz unterstützt Herr Hanselka die Bundesregierung bei der Umsetzung und Weiterentwicklung der deutschen Langfriststrategie zum Klimaschutz mit wissenschaftlicher Expertise.
Professor Andreas Löschel: Löschel ist Direktor des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung Münster und Inhaber des Lehrstuhls für Mikroökonomik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit 2011 ist er Vorsitzender der Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ der Bundesregierung und Leitautor des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) für den 5. und 6. Sachstandsbericht. Der in Schwetzingen wohnhafte Ökonom zählt mit praxisnahen Arbeiten in Umwelt- und Energiefragen zu den einflussreichsten Politikberatern auf diesem Gebiet.
Dr. Doris Wittneben: Seit 1. Januar 2021 ist Doris Wittneben Bereichsleiterin „Zukunftsfelder und Innovation“ bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH. Die promovierte Chemikerin und Diplom-Betriebswirtin verfügt über einen breiten Kompetenz- und Erfahrungsschatz durch Mitwirkung und Leitung bei zahlreichen Innovationsprojekten und Praxistests in europäischen und nationalen Teams, insbesondere in ihren Spezialgebieten Wasserstoff und Brennstoffzellen sowie Wärmetechnik. Die Metropolregion Rhein-Neckar ist seit 2019 anerkannte Modellregion für die Anwendung von Wasserstofftechnologien und wurde von Bund und Land Baden-Württemberg als sogenannter „Hy-Performer“ mit zusammen 40 Millionen Euro gefördert.
Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von Dr. Bernd Welz. Er ist Vorstandsvorsitzender der Klimastiftung für Bürger, der Trägerorganisation der KLIMA ARENA.
Die Veranstaltung wurde als Livestream gesendet. Mehr als 400 Menschen verfolgten über verschiedene virtuelle Kanäle die Veranstaltung und konnten live Fragen an die Vortragenden richten.
Das interaktive Erlebniszentrum KLIMA ARENA wird voraussichtlich zu den Pfingstferien für den Publikumsverkehr wieder öffnen können. Zur Wiedereröffnung wird eine Sonderausstellung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit dem Titel „Zukunftsprojekt Energiewende“ zu sehen sein.
Mit der neuen Reihe „ARENA fürs Klima“ greift die KLIMA ARENA aktuelle Themen der Klimadebatte auf und diskutiert sie in allgemeinverständlicher Weise mit hochkarätigen Fachleuten und Entscheidern aus Politik und Gesellschaft.
Text: Max Jungmann